Linglong 1933 © Columbia University Libraries
Linglong 1933 © Columbia University Libraries

Vor 81 Jahren, am 15. Februar 1934, nahm sich Ai Xia das Leben. Das Jahr des Hundes hatte gerade begonnen. Bis heute stellt sich die Frage, warum eine junge Frau von 21 Jahren, die zu den aufstrebenden Talenten Shanghais gehörte, ihr Leben plötzlich beendete. Ihr Tod hinterließ Ratlosigkeit. Ihre Kollegin und enge Freundin Wang Ying fragte: „Du hast so viel Mut Dinge zu tun, die sich andere nicht trauen. Warum hast du jetzt keinen Mut mehr weiter
zu leben?“

Wer war Ai Xia? Die chinesische Filmgeschichte, die ja voll von Listen und spannenden Legenden ist, kennt die weggelaufenen Mädchen, die vier schreibenden Schauspielerinnen und die drei Selbstmorde berühmter weiblicher Filmstars. Auf all diesen Listen steht ihr Name.
Sie ist die bekannte Unbekannte in der chinesischen Filmgeschichte.

1912 als Yan Yinan geboren, zog die Familie schon bald nach ihrer Geburt nach Beijing, wo sie aufwuchs. „In jener Zeit, es war nach dem 4. Mai 1919, erhielt Wei Ming in Beiping eine moderne Ausbildung. Sie war von der damals herrschenden revolutionären Aufbruchstimmung geprägt und das Gegenteil von dem Leben ihrer bereits verheirateten Schwester. Wei Ming rebellierte gegen ihre Familie und ging zusammen mit ihrem Geliebten weg. Sie wollte keine Kompromisse, wollte selbst entscheiden, wen sie heiratet“, schreibt Sun Shiyi im Drehbuch für den Film „Neue Frauen“ (新女性). Seine Geschichte orientiert sich am Leben von Ai Xia. Der Regisseur Cai Chusheng kannte Ai Xia sehr gut. Er erinnert sich, dass sie „eine fortschrittliche, talentierte und kluge junge Frau [war], so wie die Wei Ming aus dem Drehbuch. Nach der Mittelschule in Beiping verliebte sie sich in einen Cousin und bekam ein Kind, was in ihrer konservativen Familie auf Widerstand stieß. Kurz entschlossen ging sie in den Süden, nach Shanghai, wo sie für das progressive Theater und den Film zu arbeiten begann. “
Bald nachdem Ai Xia 1928 nach Shanghai gekommen war, fand sie Anschluss an Tian Hans Südchinagesellschaft (南国社). Hier erlernte sie ihr schauspielerisches Handwerk. Ihre erste Filmrolle hatte sie 1932 in Li Pingqians „Alter Hass und neue Feindschaft“ (旧恨新仇). Dann ging es Schlag auf Schlag weiter – eine junge Frau, die malte, viel las, ins Kino ging und schrieb, zu anderen Zeiten hätte man sie das Girlie von Shanghai genannt. Ihr Mut, sich auszuprobieren, frei zu sein, ohne sich von gesellschaftlichen Konventionen einengen zu lassen, sind ungewöhnlich für die damalige Zeit. Auch wenn das Bild der modernen Frau allerorten propagiert wurde. Sie verkörperte es. Auf Fotos von ihr entedeckt man eine ansteckende Fröhlichkeit. In ihren Filmrollen ist sie direkt und zuweilen das kleine Biest. Man denke an He Xia aus „Seidenraupen im Frühling“ (春蚕): verheiratet und von den anderen im Dorf beargwöhnt, macht sie dem Nachbarssohn schöne Augen und stiehlt darüber hinaus die nachbarlichen Seidenraupen; oder an Wang Ruilan aus „Der Kosmetikmarkt“ (脂粉市场): Sie lacht nicht nur boshaft über die Neue im Kaufhaus, sie schnappt ihr auch den Mann weg, als sich zwischen den beiden gerade eine Romanze anbahnt.
1933 war ein äußerrst produktives Jahr für Ai Xia: Sie spielte in sechs Filmen, darunter die Hauptrolle in dem von ihr selbst geschriebenen Film „Eine Frau von heute“ (现代一女性). Das hätte ihr Durchbruch sein können. Hätte, doch es ging nicht mehr, Ideal und Wirklichkeit klafften zu weit auseinander, kompromisslos ist sie bis zum Ende: „Die Welt ist voller Lügen. Ich gebe alles auf und folge meiner ehrlichen Überzeugung.“ Bis heute spekuliert man, ob eine unglückliche Liebesgeschichte oder aber der Druck des von ihr finanziell abhängigen Vaters Schuld an dem Selbstmord seien.
Gleich nach ihrem Tod verfasste Sun Shiyi das auf dem Leben von Ai Xia basierende Drehbuch, Ende 1934 war Drehbeginn, zum Frühlingsfest 1935 kam der Film „Neue Frauen“ (新女性)in die Kinos. Die Hauptrolle und damit die Figur der Ai Xia spielte Ruan Lingyu, ein anderer großer tragischer Star am Shanghaier Filmhimmel. Die Geschichte sollte sich wiederholen. Am 8. März, nur wenig mehr als ein Jahr nach Ai Xia, nahm auch sie sich das Leben.

Das Girlie von Shanghai – Ai Xia
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