Grand Theatre1Leitmotiv der Architektur in Shanghai

Zum Mythos von Shanghai gehört das sich ständig verändernde Bild der Stadt und die darin erhaltenen Gebäude aus einer anderen Zeit. Sie machen einen Spaziergang zur Zeitreise. In den 30er Jahren erlebte die Stadt einen nicht gekannten Bauboom, denn aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung wuchs die Bevölkerung rasant. Das Stadtgebiet dehnte sich nach Westen aus und in den ehemaligen Konzessionen entstand eine Reihe von Gebäuden im Art Déco-Stil. Der Glücksfall, dass die Stadt im Krieg nicht zerstört wurde, macht Shanghai heute zu einer der Städte mit deren größter Dichte weltweit. Das oft auf Symmetrie gebaute Art-Déco harmonierte hervorragend mit den Lehren des Feng Shui. Die Einzigartigkeit der hiesigen Spielart bestand darin, dass traditionelle chinesische Design-Elemente in den Art-Déco-Stil integriert wurden. Mag auch die Veränderung der Gebäude im Laufe der Zeiten nicht nur Freude hervorrufen, das Shanghaier Art-Déco prägt bis heute das Stadtbild.

Einer derjenigen, die maßgeblich dieses Bild mitprägten, war L. E. Hudec. Ihm allein sind um die 60 Gebäude zu verdanken, wie die Moore Memorial Church, die Estrella Appartments, mehrere Krankenhäuser, das Parkhotel – das bis in die 50er Jahre höchste Gebäude Asiens und bis in die 80er das höchste Shanghais, oder das Grand Theatre.

Der Mann, der Shanghai baute
Laszlo Ede Hugiecz / Ladislav Edvard Hudec wurde vor 120 Jahren, 1893, in Banska Bystrica (heute Slovakei) geboren. Damals gehörte die Stadt zur österreich-ungarischen Monarchie. Er studierte in Budapest Architektur. Im 1. Weltkrieg geriet er in russische Kriegsgefangenschaft und kam in ein sibirisches Lager nahe der chinesischen Grenze. Es gelang ihm zu fliehen und im November 1918 kam er in Shanghai an. Hier arbeitete er zunächst im Büro des amerikanischen Architekten R.A. Curry, bevor er 1925 seine eigene Firma eröffnete. Seit 1922 war er mit Giselle Meyer, der Tochter eines deutschen Handelsvertreters verheiratet, sie hatten drei Kinder. In der Zeit vom Ende der 20er Jahre bis zum Ausbruch des Krieges entstanden seine Shanghaier Meisterwerke.
Der Shanghaier begeistert sich ja für alles Neue, so sagt man. In der Architektur jener Zeit wurden moderne Baustoffe und Bautechniken angewandt, die boomenden neuen Medien bestimmten das Freizeitverhalten der Shanghaier. Zu den schönsten Vergnügungen zählte, einen der neuen Streifen aus Hollywood zu sehen. Ohne das Kino als fazinierende Verschmelzung von Kunst und Technik war man keine Weltmetropole. Shanghai war das Hollywood des Ostens. Hier wurden nicht nur Filme aus Hollywood gezeigt, hier waren die großen und kleinen chinesischen Filmstudios ansässig, hierhin zog es diejengen, die davon träumten, einmal ein Star zu werden, und diejenigen, die in ihrem Dunstkreis am Mythos des goldenen Kinozeitalters woben. Aber um den Film zu zelebrieren, brauchte man entsprechende Räume. Und einen solchen schuf L. E. Hudec mit seinem Grand Theatre.

Die Vorgeschichte – Welcome Danger
Das 1932 in der Bubbling Well Road (heute: Nanjing xi lu) entstehende Kino, steht anstelle eines Vorläuferbaus, der nur wenige Jahre existierte. Es heißt, das Kino war bankrott und die Shanghaier schnitten es. Dieses 1928 errichtete Grand Theatre war bereits mit modernstem Tonfilmequipement ausgestattet. 1930 lief hier und im Capitol, in zwei der größten Filmtheater der Metropole, der neue Film von Harold Lloyd an. Harold Lloyd war gleich nach Charlie Chaplin der beliebteste Komödiant aus den USA. „Welcome Danger“, der in China 不怕死 (Unafraid of death) hieß, lief in Shanghai in seiner Tonfilmversion.
Harold Lloyd spielt einen Studenten, der nach San Francisco zurückkehrt, weil sein Vater, Chef der dortigen Polizei, verstorben ist. Er selbst wird nun in einen Fall verwickelt und will der Polizei helfen einen Drogenring in Chinatown zu sprengen.

Am 22. Februar 1930 saß unter den Zuschauern im Grand auch Hong Shen. Hong Shen war ein in Amerika studierter Autor und Regisseur, die Filmgeschichtsschreibung nennt ihn „Vater des chinesischen Drehbuches“ und er war zu jener Zeit Professor an der Fudan-Universität. Auf der Leinwand gab es hektische Verfolgungen durch die Gassen Chinatowns und dunkle Verschläge, ein Milieu, in dem sich die Kriminellen auskannten und das sie schützte. Die Schilderung der Chinesen als mafiös, kriminell und verschlagen behagte Hong Shen gar nicht. Es hielt ihn nicht auf seinem Sitz und er erklomm die Bühne, um eine flammende Rede gegen die Herabwürdigung der chinesischen Rasse zu halten. Viele Zuschauer erklärten sich solidarisch und forderten ihr Eintrittsgeld zurück. Aus Angst, die Situation könne eskalieren, rief die Kinoleitung die Polizei und Hong Shen wurde festgenommen. Sofort nach seiner Freilassung startete er einen Boykottaufruf gegen den Film, forderte seine Absetzung sowie Entschuldigungen von Seiten der Paramount, die den Film produziert hatte, und des Grand-Theatres. Dem Aufruf schlossen sich Prominente, Zeitungen, Theaterverbände und Universitäten von Shanghai an und drohten mit Konsequenzen, wenn der Film nicht abgesetzt würde. Währenddessen verfolgte das Grand Theatre Hong Shen wegen der ihm entgangenen Einnahmen. Schließlich wurde „Welcome Danger“ abgesetzt, die Paramount lenkte ein, um ihre Chancen auf dem chinesischen Markt nicht zu gefährden und versprach, sämtliche Kopien des Films aus China abzuziehen. Und auch das Grand Theatre musste sich bei Hong Shen entschuldigen und erhielt Werbeverbot in den Zeitungen. Im November 1931 war das Kino bankrott. Lu Gen, ein Brite chinesischer Herkunft erwarb die Konkursmasse und beauftragte gemeinsam mit einer amerikanischen Hypothekenfirma L.E. Hudec mit dem Neubau des Grand.

The best cinema of the far east
Im Sommer 1933 war es soweit: das Grand Theatre wurde wieder eröffnet. Großformatige Werbeanzeigen in den Shanghaier Zeitungen begleiteten die Eröffnung dieses ultimativ modernsten Kinopalastes in Shanghai. Das Gebäude steht in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem zwei Jahre später errichteten Park-Hotel. Es war ein auffälliger asymmetrischer Bau mit einer durch vertikale und horizontale Linien klar strukturierten, dennoch verspielten Fassade. Das Gebäude war im Eingangsbereich zweistöckig, im hinteren Teil vierstöckig. Wahrzeichen des Baus war der abends erleuchtete viereckige Turm aus Milchglas mit der Aufschrift Grand Theatre. Durch eine der vielen Glastüren betrat man die Eingangshalle, deren Treppen zu einem Wasserspiel im ersten Stock führten. Von dort aus gelangte man in den Kinosaal. Er bot 1913 Zuschauern Platz und war mit einer Klimaanlage ausgestattet. Wie in den meisten großen Kinos in Shanghai liefen auch hier die neuesten Hollywoodfilme. Bei einem weiteren Umbau 1939 wurde in jeden der gepolsterten Sitze ein sogenanntes Yiyifone für die Übersetzung der amerikanischen Filme ins Chinesische eingebaut.

Alter Glanz in neuem Licht
L.E. Hudec wurde 1941 ungarischer Honorarkonsul. 1947 verließ er Shanghai mit dem Plan wiederzukommen. Er landete schließlich in Californien, wo er 1958 starb.
Das Grand Theatre wurde zu Beginn der 50er Jahre verstaatlicht und firmiert seither unter seinem chinesischen Namen Da guangming (Großes Licht). Die Wasserspiele existieren längst nicht mehr. Doch kann man den alten Glanz dieses Art Deco-Meisterwerkes auch jetzt noch ahnen. 2009 wurde das Kino einer aufwendigen Renovierung unterzogen. Ein Restaurantbereich, mehrere Säle und eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Films an diesem Ort erweitern nun das Kinoangebot.

(in: dnC 2/2013)

Das Grand -Theatre in Shanghai, ein Meisterwerk des Art-Déco
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