In den letzten Jahren begegnet man auf Filmfestivals zunehmend jungen Sales Agents und ihren Firmen, die sich dem sogenannten unabhängigen chinesischen Film verschrieben haben. Bekannte Regisseure wie Wang Xiaoshuai, Lou Ye, Wang Quan’an werden oft von Firmen aus Europa oder Hongkong repräsentiert. Deshalb unterstützen die neuen Firmen junge Talente auf dem Filmmarkt. Natürlich stellt sich die Frage, wie lange ihr Atem reichen wird, denn der internationale Filmmarkt ist hart. Man muss sich nur anschauen, wie viele der auf der Berlinale gezeigten chinesischen Filme es ins Kino hierzulande schaffen. Nun mag Deutschland in dieser Hinsicht auch ein besonders hartes Pflaster sein. Einer, der es wissen will, ist Meng Xie (谢萌) mit seiner Firma REDiance Film Sales (赤角). REDiance wurde 2017 gegründet und brachte 2018 An Elephant Sitting Still (大象席地而坐) und 2019 From Tomorrow On, I Will (春暖花开) nach Berlin. Aber die Firma will sich nicht nur auf junge Filmemacher aus China beschränken. Zu ihrem Portfolio gehören ebenso der afghanisch-niederländische Regisseur Aboozar Amin oder der Belgier Bas Devos. Im August 2018 sprach Nicholas Elliott für die Cahiers du Cinéma in Locarno mit Meng Xie über Hu Bos ersten und letzten Film An Elephant Sitting Still.

An Elephant Sitting Still lief in Locarno im Rahmen einer Hommage an Pierre Rissient (1936 – 2018,frz. Regisseur, Produzent, Drehbuchautor), der den Film enthusiastisch begrüßt hatte. An jenem Abend wurde der Film von Meng Xie präsentiert, der von der Familie Hu Bos mit dem internationalen Verkauf beauftragt ist. Dem vorausgegangen waren Streitigkeiten zwischen dem Filmemacher und seinen Produzenten.

Wie haben Sie Hu Bo kennen gelernt?

Ich habe ihn Ende 2016 in meiner Eigenschaft als Partner von Blackfin (黑鳍) getroffen, die u.a. Kaili Blues von Bi Gan produziert hat. Das zweite Mal war dann, als wir den fertigen Film sahen. Aber erst nach seinem Tod im Oktober 2017 habe ich mich mit meiner Firma REDiance Film Sales professionell um den Film gekümmert. Als nämlich die Produzenten die Filmrechte an Hu Bos Eltern zurückgegeben hatten.

Was war ihr erster Eindruck von diesem Film?

Ich habe als Kurator für junge unabhängige Filme in Peking gearbeitet (am Ullens Center for Contemporary Art) und kenne deshalb die Filmlandschaft gut. An Elephant Sitting Still war nicht vergleichbar mit dem, was wir sonst so zeigten. Man bemerkte sofort den Einfluss großer Cineasten und der Film beeindruckte durch seine globale Vision. Drei Szenen sind mir besonders aufgefallen: Der heftige Wortwechsel zwischen dem Jungen und seinem Vater am Anfang des Films erinnert zunächst an die normale Behandlung von Familie und Gesellschaft in den unabhängigen chinesischen Filmen. Aber der Film wird geradezu poetisch, wenn dann der Junge im Treppenhaus ein Streichholz entzündet, und man an der Wand Markierungen entdeckt, die anzeigen, dass es nicht das erste Mal war. Oder: da ist das Feuer in der Küche, als der Gangster und seine Freundin in eben diesem Restaurant essen. Er zieht sie nach draußen, geht dann aber wieder hinein in Richtung Küche. Die Kamera folgt ihm nicht, sondern bleibt einfach auf einer weißen Wand stehen. Zhang Yu, der den Gangster spielt, hat mir erzählt, dass diese Szene sein ästhetisches Verständnis von Film verändert hat. Der Kameramann und der Dekorateur haben vorgeschlagen, irgendwas an die Wand zu hängen, damit die Szene interessanter wird. Aber Hu Bo wollte nicht. Und was Zhang Yu überrascht hat, als er den Film sah, war diese Leere. Es war praktisch gar nicht nötig, dem noch etwas hinzuzufügen. Und schließlich der Besuch im Altersheim, mit der Kamera, die sich über die Mauern erhebt, um die unterschiedlichen Bewohner zu zeigen – da musste ich an Wang Bing denken. Die Szene ist zwar gestellt, scheint aber einen unbearbeiteten Einblick in die Realität zu geben. Die stärkste Szene ist für mich die, wo der Junge von den Gangstern gefangen, festgehalten wird. Unmittelbar vor dem Schuss hört man, wie ein Zug ankommt. Das ist pure Magie. Diese Szene von etwa 30 Minuten erforderte höchste Präzision in der Vorbereitung, denn mit dem Budget war es unmöglich, sie mehrmals zu drehen. Alles musste also bereit sein für die Einfahrt des Zuges. Anlässlich der Filmvorführung erinnerte sich Hu Bo an die Reaktionen von Freunden und Kollegen. Und er freute sich, dass ich seine Sicht teilte. Denn er war in einer schwierigen Situation als junger Filmemacher gegenüber seinen Produzenten, die den Film zu lang fanden und Schnitte forderten. Er hat mir übrigens auch anvertraut, dass eine zweistündige Version existiert. Die Meinung von Außenstehenden war für ihn wichtig, um weiterhin Vertrauen in seine Arbeit zu haben.

Wo würden Sie Hu Bo im heutigen chinesischen Kino verorten?

Pierre Rissient hat über Hu Bo und Bi Gan gesagt, dass sie die 8. Generation der chinesischen Filmemacher repräsentierten. Er wollte damit sagen, dass sich mit ihnen das chinesische Kino vom realistischen Einfluss à la Jia Zhangke oder Hou Hsiao-hsien entfernt. Für mich als Produzent und Distributeur sind Filme wichtig, die mit den Normen brechen, mit der Vorstellung, wie denn ein unabhängiger chinesischer Film aussehen sollte. Die Filme entfernen sich vom in Europa vorherrschenden sozialkritischen Muster. Bei Hu Bo und Bi Gan bleibt ein sozialer Kontext bestehen, aber ihre Herangehensweise ist eine andere.

Wie würden Sie die Person Hu Bo beschreiben?

Ich habe ihn nach der Vorführung des Films auf dem Festival in Xining im Juli selten gesehen. Ich wusste von seinen Problemen mit dem Produzenten. Und ich habe ihn danach gefragt. Er erwiderte lachend, dass er inzwischen was anderes zu tun habe. Er bereitete nämlich seinen nächsten Film vor. Die Nachricht von seinem Tod hat mich getroffen. Nach seinem Selbstmord haben einige sein Weibo-Account durchforstet, ob sich da nicht etwas finden lasse, wie: junger Mann sieht sich finanziellen Schwierigkeiten gegenüber oder hat nicht mehr die letzte Kontrolle über den eigenen Film. Aber das sind alles ganz normale Probleme unter Künstlern. Wenn man Hu Bo traf, hatte man nicht den Eindruck, dass er deprimiert war. Aber man spürte seine große Sensibilität. Er war einfach ein junger Kreativer, der mit der Realität kämpfte.

Die 8. Generation