Der neue Film von Wang Quan’an, der 2007 für Tuyas Hochzeit (图雅的婚姻) den Goldenen Bären bekam, ist extrem „flächig“. In Cinemascope gedreht, besteht er vor allem aus langen Einstellungen, die durch langsame Kameraschwenks zum Panorama erweitert werden. Das Bildkonzept versucht, den gemächlichen Lebensrhythmus der Mongolen nachzuzeichnen. Die Bilder enthalten gar nicht so viele Dinge, vielmehr vermitteln sie die Gefühle der Figuren im Film. Ausgerichtet sind sie immer wieder am in der Ferne liegenden blassen Horizont. Diese Ruhe und Weite dehnt den Horizont gleichsam in Raum und Zeit. Eine solche Ästhetik lässt die Mongolei von Wang Quan’an und seinem Kameramann Aymerick Pilarski geradezu eindimensional erscheinen.

Doch die Flächigkeit, die Ruhe des Horizontes wird immer wieder durchbrochen, weil sich die Geschichte dazwischen schiebt. Die erste Brechung ist eine nackte Frauenleiche. Schimmernd liegt sie plötzlich vor dem Horizont und das ist der Beginn der Geschichte. Als der Film zum ersten Mal die Totale verlässt, ist es für einen betrunken Motorrad fahrenden Hirten. Damit wird wieder ein neues Kapitel der Geschichte eröffnet, einer durch Brechungen eben nicht mehr heilen Welt und des Privatlebens der Protagonistin. Fortan werden die Brechungen des Horizonts häufiger und geben den Takt der Geschichte vor.

Als die Sonne untergeht, verschwindet auch der Horizont langsam und mit ihm die klare Trennung von Zeit und Raum. Alles verschwimmt, man kann die Formen nicht mehr ausmachen, die Steppe wird vom Geheimnis des Unbekannten umhüllt. Am nächtlichen Feuer und mit Hilfe von Alkohol zeigt die Hirtin dem Polizisten wie man raucht und sich liebt – als Technik gegen die Einsamkeit. Und da erscheint der Film plötzlich gar nicht mehr flächig, sondern gewinnt an Räumlichkeit und Tiefe.

In Wang Quan’ans Filmen sieht man oft robuste und starke Frauen-Figuren. Auch in Öndög sind die Frauen bis hin zu der nur da liegenden Frauenleiche klug, stark und schön. Nachdem die Hirtin gegangen ist, entsteht zwischen dem Jungpolizisten und der Leiche eine subtile Beziehung: Er tanzt aus Leibeskräften um sie herum, in einer Mischung aus Balz-und Opfertanz. Das erinnert an die drei Jugendlichen aus White Deer Plain (白鹿原), die ein Weizenfeld angezündet haben, das Geheimnis bindet sie aneinander und treibt die Handlung des Films voran.

Der Minimalismus der Steppe betont schon an sich Formen und Bewegungen, einige Handlungen lässt er besonders hervortreten: Als die Hirtin und der Polizist sich gerade lieben, schleicht sich eine Wölfin heran, der folgende Schuss der Hirtin fällt mit der Ejakulation zusammen, dann erhebt sie sich göttinnengleich. Das schafft wiederum eine vage Verbindung zwischen der Frauenleiche und der Hauptfigur, eine Art Abfolge, in der sich der Geist der Steppe erneuert. Hier haben die Frauen das Sagen, die Männer sind eher Beiwerk.

Auf der Pressekonferenz scherzte Wang Quan’an, dass der Film ein Abschiedsgeschenk für den scheidenden Berlinale-Direktor Dieter Kosslick sei, fügte dann aber ernsthafter hinzu, dass der Film zwar in einer nicht industrialisierten Gesellschaft spiele, aber er daran den Zustand der Menschheit zeigen will. Diese Erklärung lieferte noch eine andere Sichtweise: Geht man von der perfekten visuellen Gestaltung aus, ist der Film vor allem klar und direkt. Viel Text gibt es nicht, aber das Bild des Dinosaurier-Eis wird deutlich herausgearbeitet. Und das hat seinen Grund, denn am Ende trägt diese Idee den gesamten Film. Sie verbindet nicht nur die Zeiten (Mongolen sind die Nachkommen der Dinosaurier) und Räume miteinander (Saurier-Fossilien wurden nach Amerika gwschmuggelt), sondern verweist auch auf den Zustand der Protagonistin (Schwangerschaft).

Dass Öndög mit einem Verbrechen beginnt, ist nicht weiter interessant. Vielmehr ist der Beschuldigte völlig unwichtig. Den Regisseur interessiert mehr, wie der Wolf zum Hund bzw. der Mensch zum Nachkommen der Saurier wurde. Der Film bewegt sich jenseits mongolischer Ethno-Filme mit ihrem ausgestellten Exotismus. Im Gegenteil: Dinge, wie der Tanz neben der Leiche Tanzen, sich gegen die Kälte wappnen oder das Feuerwerk vom fahrenden Motorrad bleiben lange in Erinnerung und geben die Richtung der Handlung vor: vom Verbrechen, über die Liebe, bis zur Schwangerschaft. Vielleicht war nicht alles geplant, aber aus allem spricht „Liebe!“ – das einzige und ewige Thema in der weiten Natur und eine einzigartige Fähigkeit, die seit 7000 Jahren immer weitergegeben wird.

Ein minimalistisches Epos – Öndög (恐龙蛋) von Wang Quan’an