9783956400575[1]Schon wieder ein Buch über China, dachte ich bei mir und starrte auf den Umschlag. Im Hintergrund schrauben sich graubraune Hochhäuser in einen grauen Himmel, davor entstehen wohl noch weitere und vor einer graublauen Mauer schließlich laufen drei Gestalten: ein schwarzer Melonenkopf mit Hut und ein Wesen mit Schnabelschnauze im Gesicht – ich muss an Schnatterinchen aus dem DDR-Kinderfernsehen denken, aber auch an aufgespritzte Lippen. Die beiden sind Karl und Linda, Freunde, die Sascha Hommer 2011 in Chengdu besucht hat. In der Mitte ein Mensch mit Katzenmaske – the author himself in China.

Der Blick des Lesers auf die Figuren ist zugleich Blick der Chinesen auf Westler, immer erkennbar, als trügen sie Masken bzw. seien Aliens. Kehren wir den Blick um, sehen die Chinesen alle gleich aus: Kindchenschema, Kulleraugen – die Wahrnehmung des Westlers. Diese Perspektivverschiebungen sind in den Zeichnungen Hommers immer vorhanden und sorgen dafür, dass der Band mehr ist, als nur die Geschichte einer Reise nach China. Hommer gelingt es, eine fein distanzierte Atmosphäre zu erzeugen, obwohl er doch von ganz persönlichen Erfahrungen erzählt.

Kritiker haben den Band oft mit der Graphic Novel von Guy Delisle verglichen. Doch wo der über seine Erfahrungen in China und mit Chinesen schreibt, erzählt Sascha Hommer vor allem über Expats in China, diese abgeklärte Spezies, die alles über China zu wissen meint.

In Bildern, die manchmal etwas piktogrammhaftes haben, zeichnet Sascha Hommer schwarz, weiß und grau von seinem viermonatigen Besuch in Chengdu. Entlang seiner China-Lektüre erzählt er seine Reise in sechs Kapiteln. Immer wieder fließen die Bücher in Gedanken, Träume, Assoziationen ein. Es entsteht eine Mischung aus persönlichen Beobachtungen und Fakten zu Kultur und Geschichte.

Da träumt er kurz nach seiner Ankunft von der Entdeckung Chinas durch Marco Polo in Bildern, die einer Mischung aus Indianerfilm und Tierdoku entsprungen zu sein scheinen. Sie enthalten aber auch die fast einzigen Spuren des alten China, die die Sehnsucht des Westlers nach dem Reich der Mitte bis heute bestimmen: geschwungene Dächer, Regenschirme aus Ölpapier, steinerne Löwenwächter. Doch am nächsten Morgen beginnt die unromantische Wohnungssuche. Für Chan, die ihm dabei vermeintlich behilflich ist, ist der Autor zuvorderst aber ein potentieller Heiratskandidat, so unromantisch, so pragmatisch. Wenn Kapitel drei mit Lao Shes „Stadt der Katzen“ aufmacht, so ist das komisch, denn der Ich-Erzähler trägt ja eine Katzenmaske, das heißt er trägt sie gleich nicht mehr. Denn seit er in der Sichuanoper war, hat er eine Opernmaske für sich erstanden. Das Fremdeln der Eingewöhnung ist vorüber, nun wollte er auch sichtbar einer von ihnen sein und blieb doch der erkennbar andere. Der utopische Katzenroman fließt auch wieder in einen Traum über Macht und Korruption ein. Professor Bienlein und den Opiumhöhlen aus Tim und Struppis Abenteuern begegnen wir ebenfalls, schmunzeln über Wiedererkanntes und Assoziationen Hommers. Dankbar bin ich für die Sprünge, das nicht-Auserzählen, dafür, dass er mit dem denkenden Leser rechnet. Ein Buch das Lust macht, auf mehr Lektüre, das den Leser aber auch froh macht, manches nicht am eigenen Leib erfahren zu müssen.

Sascha Hommer: In China, Reprodukt-Verlag, 176 Seiten, € 20.

in: Ruizhong 1/2017

 

Eine Frage der Perspektive: Alien trifft Alien