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Der beste chinesische Beitrag dieser Berlinale war Hu Bos (胡波) vierstündiger Debutfilm An Elephant Sitting Still (大象席地而坐). Leider war es auch sein letzter Film, denn der Regisseur nahm sich im Oktober 2017 das Leben. Der Film erhielt den FIPRESCI-Preis des Internationalen Verbandes der Filmkritik, den in Berlin die Mutter von Hu Bo entgegen nahm.

Noch bevor der Titel erscheint, wird im Off die Geschichte des Elefanten im Zoo von Manzhouli (chinesisch für Manjur) erzählt, der einfach nur da sitzt. Ein junger Mann in einer Wohnung irgendeiner nordchinesischen Provinzstadt, er raucht, da ist auch eine Frau, jemand kommt nach Hause, die Frau geht zur Tür, offensichtlich ist sie hier zu Hause, Stimmen, ihre und die eines Mannes, er wolle nur was holen; ob in der Wohnung noch jemand sei. Er kommt ins Zimmer, scheint den anderen zunächst nicht zu sehen, dann wechseln sie ein paar Worte, danach springt er aus dem Fenster.

Eine andere Wohnung: ein Junge muss zur Schule, zum Glück weg von der kalten, herzlosen Familie, denkt man einen Augenblick. Doch dann sieht man, wie er vom Anführer einer Schüler-Clique gemobbt und erpresst wird. Als er sich zu wehren versucht, wird der großmäulige Mitschüler unglücklich stürzen.

Der rauchende Mann aus der Szene am Anfang, der mit der Frau seines Freundes schlief, ist auch der große Bruder des Großmauls. Seine Aufgabe sieht er darin, den Bruder zu rächen. Der Rentner Wang will nicht von seinem Sohn ins Altersheim abgeschoben werden. Eine andere Schülerin schmeißt zu Hause den Haushalt ihrer heillos überforderten Mutter und sucht in einer Affaire mit dem Schuldirektor Wärme und Liebe. Vier Schicksale in einem Haus, deren Wege sich kreuzen, damit greift Hu Bo einen im chinesischen Film bekannten Topos wieder auf. Man denke an die Nachbarn in Am Kreuzweg (十字街头,Shen Xiling, 1935), Raben und Sperlinge (乌鸦与麻雀,Zheng Junli, 1949) oder Young Couples (鸳鸯楼,Zheng Dongtian, 1987)

In Hu Bos Film sehen wir einen ganzen Tag lang dem verzweifelten Kampf der Protagonisten um Liebe Anerkennung oder nur einen Platz im Leben zu. Wir sehen Tote, Ungerechtigkeiten, Verwahrlosung, Dreck, oder wie jemand verzweifelt zur Waffe greift: und doch gelingt es Hu Bo in diesem vierstündigen Epos nicht die Hoffnungslosigkeit Oberhand gewinnen zu lassen. Er zeigt seine Figuren mit einer großen Wärme, denunziert sie nicht. In langen Kameraeinstellungen verfolgen wir ihre sich kreuzenden Wege. Dabei gewinnen die Bilder der rauen Realität eine unerwartete Poesie ab.

Der Film beruht auf einer eigenen Erzählung Hu Bos. Dieser hatte in den letzten Jahren als Schriftsteller unter dem Namen Hu Qian (胡迁) Romane und Erzählungen veröffentlicht. In einem Interview erzählte er, das für ihn das Schreiben Freiheit bedeute, da es hierfür keinerlei Vorarbeiten bedarf, anders als beim Filmemachen, wo man genau vorbereiten und planen muss: „Beim Drehen stößt man schnell an Grenzen, deshalb habe ich nach meinem Abschluss (an der Filmakademie Beijing, Anm. d. Üb.) immer wieder überlegt, ob ich überhaupt Filme machen will und in dieser Zeit mit dem Schreiben begonnen.“ (sohu)

Aber Hu Bo wollte zum Glück irgendwann wieder Filme machen. Er wollte sich dabei keine Grenzen setzen lassen, was zur Auseinandersetzung mit seinem Produzenten Wang Xiaoshuai (王小帅) führte. Für seine vier Protagonisten von An Elephant Sitting Still ist das Leben zum Weglaufen. Aber ob es woanders besser ist? Dieser Elefant, der einfach nur da sitzt, wird zum Sehnsuchtsbild. Vielleicht finden sie irgendwo anders ihre Ruhe? Ein letztes Bild zeigt sie bei einer nächtlichen Buspause auf dem Weg nach Manzhouli. Fröhlich hört man den Elefanten trompeten.

An Elephant Sitting Still-Trailer

Nach Manzhouli! (Berlinale 2018)