Cheng Bugao (1896 – 1966) war Filmemacher der 1. Generation, ihm verdanken wir Filmklassiker wie Wilder Strom (狂流), Seidenraupen im Frühling (春蚕). Weniger bekannt ist sein Engagement für den frühen Dokumentarfilm.
Häufig datiert man den Beginn des chinesischen Dokumentarfilms auf die Zeit des antijapanischen Krieges und anschließenden Sieges der Kommunisten. Liest man die Erinnerungen von Joris Ivens, so war er es, der der kommunistischen 8. Marscharmee eine Kamera mitbrachte und somit den Grundstein des kommunistischen Dokumentarfilmschaffens legte. 1953 wurde das Staatliche Dokumentarfilmstudio gegründet, dessen Filme vor allem der Propagierung der neuen sozialistischen Ideologie der jungen VR dienten. Aber schon Cheng Jihua widmet der Auflistung von Dokumentarfilmen und Wochenschauen vor 1949 im Anhang des ersten Bandes seiner „Entwicklungsgeschichte des chinesischen Films“ von 1963 elf Seiten.
Bereits während seines Jounalistik-Studiums an der Aurora-Universität Shanghai begann Cheng Bugao Filmkritiken zu schreiben und Artikel über Filmtechnik zu übersetzen. 1924 entstanden unter seiner Regie für die Dalu-Filmproduktion die Dokumentarfilme Wu Peifu (吴佩孚) und Ansichten von Luoyang (洛阳风景), sowie der Spielfilm Ein Paar wie Wasser und Feuer (水火鸳鸯).
1928 engagierte die Mingxing ihn und er drehte über 20 Filme mit meist nett romantisch klingenden Titeln: Papa liebt Mama (爸爸爱妈妈) oder Das romantische Mädchen (浪漫女子), wie Cheng Jihua zu berichten weiß. Den japanischen Überfall auf Shanghai am 28. Januar 1932 (一二八) beschreibt Cheng Bugao als Erweckungserlebnis, was ihn hin zu einem engagierten, realistischen Film führte. Im kurzen Krieg zwischen China und Japan wurden auch Filmstudios teilweise zerstört. Viele Studios stellten ihre Spielfilm-Produktion ein, und drehten stattdessen Dokumentarfilme. Das war einerseits eine Solidaritätserklärung mit ihren Landleuten, andererseits konnten die Kriegsnachrichten so in anderen Landesteilen und von Auslandschinesen gesehen werden. 1932 filmte Cheng Bugao die 19. Route-Armee und es entstand der Dokumentarfilm Der Shanghai-Krieg (上海之战).

1931, wurden Hankou und große Gebiete entlang des Yangtse überschwemmt. Diese Flutkatastrophe bildete den Hintergrund für Cheng Bugaos Spielfilm Wilder Strom (狂流,1933), in den von ihm gedrehtes Dokumentarmaterial einfloss. Mit zwei Kameramännern verbrachte Cheng Bugao etwa einen Monat in der Gegend von Hankou und erinnert sich: „1931 trat der Yangzi in der Dreistadt Wuhan über die Ufer und überschwemmte alles. Die Höhe des Wasserstandes, seine Kraft, das Ausmaß der Überflutung und Zerstörung übertraf alles bisher Dagewesene. Das ganze Land war erschüttert, überall wurden Spenden gesammelt. Die Mingxing und die Hilfsorganisation für die Opfer des Hochwassers in Wuhan beschlossen, einen Film über die Flutkatastrophe zu produzieren, um die Spendenaktion zu unterstützen. Zwei Kameramänner und ich wurden nach Hankou geschickt. Um Zeit zu gewinnen fuhren wir mit dem Auto nach Ning(bo) und dann mit dem Schiff flussaufwärts. Nach vier Tagen erreichten wir Wuhan, um uns herum eine endlose Wasserfläche, die Dreistadt war völlig überflutet.
Weit hinten lag Wuchang, die gelbe Kranichpagode stand im Wasser; wir drehten uns um Richtung Hanyang: dort ragten ein paar Fabrikschornsteine aus dem Wasser, sie standen wie Schreibpinsel in ihrem Pinselhalter. Als wir uns Hankou näherten, war die Stadt nicht zu sehen. Der Deich stand noch. Mitglieder der Hilfsorganisation holten uns ab, als das Schiff am Deich anlegte. Unser Blick suchte die Häuser, dann erblickten wir auch die Stadt. Die unteren Etagen der Häuser standen unter Wasser, auf den nunmehr Wasserstraßen fuhren Boote und der Deich schlängelte sich wie eine kleine Große Mauer zwischen Wasserfläche und Stadtgebiet: Aus Lehmziegeln, Sandsäcken, Schotter und Schlamm errichtet, von außen mit Holz verstärkt, dick und fest, trotzte er den Wellen. Dahinter versteckte sich die Stadt, zwar überflutet, doch noch erkennbar. Die Arbeiter am Deich waren Tag und Nacht beschäftigt. Es regnete unaufhörlich. Das Wasser stieg weiter. Das wichtigste war, dass der Deich nicht brach, dann könnte die Stadt gerettet werden.
Außerhalb des Deiches toste das Wasser, innerhalb stand es. Am Deich dienten hölzerne Gerüste und Stege als Anlegestelle. Es gab zahlreiche Schiffe hier, private wie auch Handel treibende. Mit einem kleinen Boot fuhren wir in die Stadt. Und als ein Wind aufkam, stiegen üble Gerüche in die Nase. Ein toter Hund trieb vorüber. In der Jianghan-Straße standen die unteren Etagen der Hochhäuser beiderseits der Straße unter Wasser.
[…]
Am Deming-Hotel stieg ich aus. Wir bereiteten alles vor und verließen am Morgen mit dem Boot die Stadt, stiegen auf einen Dampfer um und fuhren in die Katastrophengebiete.
Der kleine Dampfer legte Kohlen nach, dann schnaufte er mit aller Kraft weiter gegen die Wellen stromaufwärts. Und plötzlich sahen wir vor uns eine Fülle an filmreifen Szenen: Auf den Straßen gab es schweren Wellengang, auf dem Tische, Stühle, Bänke und Betten nach Osten schaukelten.
Menschen auf einem Dachfirst, ein kleines Boot versuchte sie zu retten, jeder wollte der erste sein, mit dem Ergebnis, dass das Boot kippte und alle ertranken.
Eine alte weißhaarige Frau hielt sich an einer Holzplanke fest, eine Welle riss die Frau herunter, das Holzbrett tauchte in einiger Entfernung wieder auf.
Ein umgekipptes Boot wurde von der Strömung fortgetragen, darauf saß ein Hund, der nur Haut und Knochen war und unaufhörlich heulte.
Ein paar Raben saßen auf dem Bauch eines toten Schweins, glücklich über dieses Festmahl.
Unzählige Köpfe von Strommasten ragten aus dem Wasser, darunter schlief die Bahnlinie.
Die Wasserfläche war wie ein Spiegel, geradezu pittoresk. Man sagt, es sei eine arme Gegend. Hier leben ein paar hundert Haushalte, niemand weiß, wieviele Väter und Mütter, Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern, Paare und Freunde. Es ist kein Geld da, die Deiche zu verstärken, niemand kümmert sich um eine Evakuierung.
Ein Haus im Wasser, nur das Dach war noch zu sehen, sein Bewohner war wohl dem Wellengott gefolgt.
Weidenwipfel ragen aus dem Wasser, ein Wind kommt auf – für wen dieses schöne Bild?
[…]
Menschen brachen beim Anblick ihrer Häuser in Tränen aus. Mütter hielten ihre sterbenden Kinder und weinten stumm.
Ein riesiges Ungeheuer wurde mit dem Wasser ans Ufer gespült und erschreckte die Bauern, dabei war es nur eine tote Kuh.
Ein anderer Bauer kam angelaufen, rannte bis ins Wasser, wo er die tote Kuh umarmte und weinte.
Eine Hand ragte aus dem Schlamm, sie war schon violett.
Ein Haufen bunt schillernder Fliegen, mindestens so groß wie ein Fußball, wollte den Schlamm durchbohren, was heißt, dass darunter Leichen lagen.
Jeden Morgen mussten wir durch die Stadt, um in die der Dreistadt benachbarten Katastrophengebiete zu fahren und am Abend kehrten wir immer wieder zurück, etwa einen Monat lang. Das Wasser ging bald zurück, die Deiche hielten und das Leben normalisierte sich langsam wieder. Die Flutopferwaren vom Verkehr abgeschnitten, und hatten keine Chance, in die Stadt zu gelangen.
Das Stadtgebiet Hankous glich einer der geschäftigen Wasserstädte, mit bunten, im Wind flatternden Wimpeln vor den Fenstern beiderseits der Straße. Musik weht aus den Fenstern herüber, um Kunden anzulocken, Händler fuhren in Booten auf dem Wasser und priesen ihre Waren an – das alles bildete die Sinfonie der Stadt.
[…]
In einem hübschen westlichen Haus, dessen Erdgeschoss unter Wasser stand, saß am Fenster der zweiten Etage ein Herr im Anzug. Er hatte eine Pfeife im Mund, die Beine hingen aus dem Fenster, die Lederschuhe waren blankgewienert und hielt eine Angel in den Händen.“ (程步高 影坛忆旧, Beijing 1983, S.5 ff.)