ZhuangziKennern gilt Zhuangzi als der poetischste der Philosophen, während er hierzulande relativ unbekannt ist, obwohl er doch, wie Kubin sagt, ein Lieblingskind der deutschen Leserschaft sei. Aber entweder sind es die Sinologen, die sich mit ihm befassen, oder seine Bücher fristen in der Esoterik-Ecke ihr Dasein. Nun könnte damit ein kleines bei Matthes & Seitz erschienenes Bändchen aufräumen: Das Wirken in den Dingen. Vier Vorlesungen über das Zhuangzi des Schweizer Sinologen Jean-Francois Billeter.
Billeter versteht China nicht als das exotische Andere, sondern mehr als eine andere Seite des Okzidents, etwas uns nicht völlig Fremdes. Sein Verständnis des Zhuangzi bezieht er dabei ausschließlich aus dem Text. Darum betont er eingangs auch seine Lesart, nämlich genau und sicher den Text zu erfassen, sei die einzig richtige Lesart. Sein Ansatz ist es, den Text zu entmystifizieren.
So spricht Billeter auch nicht von Tao oder Weg, denn das würde dem Werk wieder einen chinesischen Stempel aufdrücken, er übersetzt dao oder tao meist als das titelgebende Wirken in den Dingen.
Seine Vorlesungen zum Zhuangzi, in denen er zahlreiche Beispiele aus der westlichen Philosophie und Literatur, von Wittgenstein, Spinoza, Montaigne bis Kleist, zitiert, unterstreichen immer wieder eine räumliche und zeitliche Nähe, und das, obwohl Zhuangzi bereits um 350 v. Ch. gelebt und gewirkt hat. Da nur wenig aus seinem Leben bekannt ist, vermag sich jeder neue Übersetzer lediglich auf Text und Kommentare zu stützen. Doch was ist das für ein Text? Auch er ist eine Interpretation und mit Sicherheit ist nicht zu sagen, was tatsächlich von Meister Zhuang persönlich stammt. Im antiken China wurden Texte mündlich überliefert und die Kompilation, auf die man sich beruft, erstellte Guo Xiang (gest. 312) nach dem Tod Zhuangzis. Mögen auch Textteile nicht auf die historische Person Zhuangzi zurückgehen, sind sie doch seiner Denkungsart verpflichtet.

Billeter will Zhuangzi verstehen und nicht eine uns fremde Denkungsart offenlegen. Zhuangzi erzählt von Erfahrungen, schreibt Gleichnisse, oft in dialogischer Form. Billeter greift Beispiele zum Lernprozess, dem Ablauf von Handlungen sowie zur Autonomie und Freiheit des Individuums heraus.
Da sind skurrile, ja unglaubliche Geschichten, wie die von Hundun, dem Chaos, dessen Freunde für seine Gastfreundschaft danken, indem sie ihm 3 Öffnungen bohren, jeden Tag eine, so wie sie selbst auch welche besitzen. Am dritten Tag starb Hundun. Er überlebte nicht, so zu werden, wie alle anderen. Hundun konnte nur im Chaos, als Chaos überleben, die reglementierte Kultur war sein Tod.

In dieser wie auch anderen Geschichten erleben wir Zhuangzi als Fürsprecher absoluter Autonomie und Subjektivität. Er selbst lehnte zeitlebens offizielle Ämter ab, lediglich Aufseher eines Lackbaumgartens soll er mal gewesen sein.
Billeter entdeckt im Zhuangzi die Beschreibung der oft wenig beachteten Übergänge vom Bewussten zum Unbewussten, wenn zum Beispiel einmal Erlerntes in Fleisch und Blut übergeht, man es quasi „vergessen“ kann und damit seine Autonomie zurückerhält. Zhuangzi beschreibt diesen Prozess am Beispiel des Koches Ding, der ein Rind zerteilen soll. Am Anfang sah er nur ein unüberwindliches ganzes, großes Rind, dann konzentrierte er sich auf die einzelnen Teile, bis seine Tätigkeit sich irgendwann von selbst vollzog. Ähnliche Erfahrungen kennt jeder Mensch, aber kaum jemand hält sie des präzisen Beschreibens für würdig. Zhuangzi aber ist ein Meister im Beschreiben dieser alltäglichen Erfahrungen. Darauf und was sie mit uns machen, lenkt Billeter den Blick.

Immer wieder betont Billeter den Witz und den Sinn für Dramaturgie des Zhuangzi, als wolle er auch hier sagen: Nur keine Angst, das chinesische Denken ist nicht so fremd, wie mancher denken mag. In sehr handlichem Format kann das Buch überall gelesen werden und verschafft uns einen angenehmen und anregenden Rückzug aus dem reglementierten Alltag.

Jean Francois Billeter: Das Wirken in den Dingen, 156 Seiten, Klappbroschur mit Schutzumschlag, 15,00 € / 21,40 CHF.

in: Ruizhong 2/2015

Vom notwendigen Chaos und Vergessen
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