Warlords prägten die Zeit der ersten chinesischen Republik (1912-49). Das Amt des Präsidenten dieser Republik musste Sun Yatsen schon nach sechs Wochen an Yuan Shikai abtreten, der als Diktator Karriere machte und sich allen Ernstes zum Kaiser machen wollte. Mit seinem Tod 1916 konkurrierten lokale Militärmachthaber, die die Regierung ohnehin nur bedingt anerkannt hatten, um die Vergrößerung ihrer Einflusssphären. Es herrschte buntes Chaos im Reich der Mitte, oder, in den Worten des Autors, herrschten „ein Go-Spieler und Hochverräter (Duan Qirui), ein Kleiderhöker und Hans im Glück (Cao Kun), ein Landvermesser und Wahrsager ( Wu Peifu), ein Handlungsgehilfe und Oligarch (Wang Zhanyuan), ein Räuber und Gendarm (Zhang Zuolin) und des Jesus russiger Bruder (Feng Yuxiang).“

Rainer Kloubert erzählt in „Warlords. Ein Bilderbogen aus dem chinesischen Bürgerkrieg“ Geschichten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie seien „Ergebnis des Herumkramens in chinesischer Geschichte“. Zahlreiche Fußnoten schlagen die Brücke zu Klouberts eigenen Beobachtungen und Erlebnissen in den 1980er Jahren. Beim Durchblättern bleibt man immer wieder an einer der zahlreichen Abbildungen hängen und liest sich fest. Anekdotisch und assoziativ ist „Warlords“ ein Buch wie ein üppiges Mahl, bei dem die Tafel sich biegt.

Im Mittelpunkt des Reigens steht Zhang Xueliang, ältester Sohn von Zhang Zuolin, des Alten Marschalls und Königs der Mandschurei. 1928 sprengten die Japaner ein Viadukt, das „mit Pardauz auf den Salonzug, in dem [Zhang Zuolin] saß“, fiel. Ihre Hoffnung war, dass der Sohn, ein Frauen- und Opiumliebhaber sich als nicht so harter Brocken wie sein Vater erweisen würde. Es war sein 28. Geburtstag, als Zhang Xueliang zum Jungen Marschall wurde. Er musste lediglich noch ein paar Getreue des Vaters beiseite räumen, um sich Respekt zu verschaffen. Dann schloss er sich der Guomindang an, machte einen Drogenentzug und begab sich auf Europareise. Auch wenn er erst im Alter von 101 starb, blieb er für immer der Junge Marschall.

Vorhang auf! Der Bilderbogen beginnt mit Aufzählung der wichtigen Protagonisten. Spinnen gleich, in der Mitte des Netzes die drei Soong-Schwestern: Die älteste Soong Ailing und Ehefrau von H.H.Kung, einem Nachfahren von Konfuzius, Chef der Bank of China und Finanzminister; die mittlere Soong Qingling – Madame Sun Yatsen und die jüngste Soong Meiling – Madame Chiang Kaishek. Es folgen die vier schönsten Männer, zu denen neben Zhang Xueliang auch Wang Jingwei, Zhou Enlai und Mei Lanfang gehörten. Solche knappen, präzisen Listen werden in China geliebt. Aber zurück zu Zhang Xueliang. Er war eine „Karrengeburt“, denn seine Mutter war gerade auf der Flucht vor Räuberrivalen ihres Mannes Zhang Zuolin, dem 28 Jahre später das Viadukt auf den Kopf fiel. Damit wurde der Junge Marschall geboren, aber mit 36 Jahren war sein Leben schon wieder vorbei. Da gelang dem General, Politiker, Mäzen, Piloten, chinesischen Don Juan, Kunstsammler, Zeitungsmacher sein wohl größter Coup, der als Xian-Zwischenfall in die Annalen der Geschichte eingehen sollte. Chiang Kai-shek wurde in Xi’an zwei Wochen festgehalten, um ihn zu zwingen, statt gegen die Kommunisten mit diesen zusammen gegen die Japaner zu kämpfen.

Rainer Kloubert, Jahrgang 1944, Sinologe und Schriftsteller, ist ein begnadeter Erzähler. Doch Zhang Xueliang steht ihm darin nicht nach, auch wenn der meint, dass ihm nicht immer zu trauen sei. Kloubert lässt ihn immer wieder selbst zu Wort kommen. Die Zitate stammen aus zwei langen Interviews. Die Tonbandmitschnitte Tang Degangs erschienen 2007 in Peking und in einer erweiterten Fassung 2009 in Taipeh. In ca. 60 Gesprächsrunden gab Zhang Xueliang auch zwei chinesischen Historikerinnen der Columbia University Auskunft, als Buch erschienen die Interviews 2014. Und selbst schreiben? „Ich war immer zu faul dazu. […] Einen Mann der Tat zu einem Mann der Feder zu machen ist genauso schwer, wie eine Ente eine Leiter hochzuscheuchen. […] Etwas anderes bereitet mir richtiggehend Angst. Wenn ich über Dinge der Vergangenheit schreiben würde, müsste ich zu ihnen zurückkehren und mir selbst viele Fragen stellen.“

Ohne diese Entführung hätte der Generalissimus wohl die Kommunisten vernichten können. Dann hat der junge Marschall den Aufstieg Maos ermöglicht und in der Folge die Gründung der VR China? Zumindest wurde er dort wie ein Held verehrt. Warum er darauf bestand, Chiang Kai-shek persönlich nach Nanjing zu begleiten, wird ein Rätsel der Geschichte bleiben. Zhang Xueliangs eigene Bewertung seines Tuns ist mehrdeutig: „Wäre es [Chiang Kai-shek] gegeben gewesen, sich wie ein anständiger Mensch zu verhalten, hätte er mir die Freiheit geschenkt, nachdem ich mit ihm zurück nach Nanking flog: eine die Menschen bewegende und in die Geschichte eingehende Tat.“ Dem Xi’an-Zwischenfall von 1936 aber folgten für ihn mehr als 50 Jahre in sogenannter weicher Haft an verschiedenen Orten, zuerst auf dem chinesischen Festland, dann in Taiwan, wohin Chiang Kai-shek ihn mitnahm. „Jedes Militärgericht hätte mich zum Tode verurteilt, […] Ich war Soldat, wusste, was ich getan hatte und übernahm die Verantwortung dafür.“ Erst 1990, nachdem Chiang Ching-kuo, der Sohn von Chiang Kai-shek gestorben war, erlangte er seine Freiheit wieder. 1993 reist er nach Hawaii aus, wo er 2001 starb. Eine verrückte Zeit, irre Geschichten und ein Bilderbogen, der sie näherbringt.

Rainer Kloubert: Warlords. Ein Bilderbogen aus dem chinesischen Bürgerkrieg, Elfenbein Verlag Berlin 2023, Leinen im Schuber, 420 S.

Zhang Xueliang und die chinesische Geschichte