„Der verbannte Unsterbliche“ erzählt die Biografie des Dichters Li Bai, der im 8. Jahrhundert auf der Erde weilte. Laut einer Legende, die sich um den titelgebenden Beinamen rankt, wurde der Heilige der Dichtkunst als Bestrafung für schlechtes Benehmen vom Himmel in das tangzeitliche China verbannt. Es ist überliefert, dass er gern dem Wein zusprach und über seinen Tod erzählt man, dass er bei einer Bootsfahrt ertrunken sei, als er versuchte, das Spiegelbild des Mondes im Wasser zu umarmen. Aber wer steht hinter den Legenden und unsterblichen Poemen des Mannes, den man auch als Li Bo oder Li Taibo kennt? Das genau will Ha Jin herausfinden und stützt sich dabei auf Gedichte und auf die wenigen überlieferten Fakten aus der Li Bai-Forschung. Er bleibt ganz nah an seiner Figur, schildert nur das unmittelbare Umfeld Familie, Freunde, und Bekannte, die ihm hätten nützlich sein können. Nützlich, bei seinem Bestreben, einen Beamtenposten zu ergattern. Herausgekommen ist eine minimalistische Erzählung unter weitgehendem Verzicht auf atmosphärische Schilderungen des bunten Treibens in tangzeitlichen Städten oder landschaftlicher Schönheiten, die der Autor lieber den zahlreich eingestreuten Gedichten und damit Li Bai selbst überlässt.

Geboren im Jahr 701 in den westlichen Gebieten des heutigen Kirgistan, wuchs Li Bai bald in Sichuan auf. Zeitgenossen schildern ihn als „starken Mann mit geradem Rücken“, „mit bewundernswertem Knochenbau“, dessen „Kutte und Taoisten-Kappe der hiesigen Mode entsprechen“. Tatsächlich ließ sich Li Bai 745 zum Taoisten initiieren. Die erhaltenen Gedichte geben hinlänglich belastbare Hinweise auf sein Tun. Li Bai war Stegreifdichter par Exellance. Hier erwähnte Orte und Personen dienen Ha Jin als Zeugnisse seiner Wanderungen. In einem seiner berühmtesten Gedichte nimmt Li Bai am Turm des gelben Kranich in Jiangxia, dem heutigen Wuhan, Abschied von Meng Haoran. Um den durchreisenden Freund zu treffen, begab sich Li Bai schon mal 900 km durchs Land. Da war er durchaus mehrere Monate unterwegs. Frau und Kinder ließ er oft allein. Er war wohl nicht geschaffen, für ein sesshaftes Leben. Rastlosigkeit prägte sein Leben. Geldsorgen plagten ihn meist nicht, aber die Sorge, einen Beamtenposten zu ergattern, trieb ihn an. Das war ihm auf „normalem“ Weg über Prüfungen verwehrt, da er einer Kaufmannsfamilie entstammte. So blieb nur zhijiu, die Möglichkeit, es über Empfehlungen von höheren Beamten auf einen Posten zu schaffen. Schließlich wurde er 742 an den Hof berufen, wenngleich er dort nicht glücklich war, und schon nach zwei Jahren sein Rücktrittsgesuch einreichte. Schmeicheleien und Hofintrigen waren nichts für den von sich überzeugten Mann. Die Initiation zum Taoisten sicherte den Lebensunterhalt, denn anerkannte Taoisten waren von Steuern und Frondiensten befreit und durften materielle Güter und Geschenke entgegen nehmen. Dennoch verfolgte er geradezu verbissen den Lebenstraum, ein politisch einflussreicher Beamter zu werden. Nicht immer setzte er dabei auf die richtigen Parteien. Ein Dichter und dazu noch bekannt zu Lebzeiten, das reichte ihm nicht.

Fasziniert blättere ich durch ein Leben im 8. Jahrhundert. Mit Li Bai lebt man in China wie hierzulande mit Goethe oder Schiller, die allerdings 1000 Jahre später wirkten. Die Zeit Li Bais war das finstere, weil zeugnisarme Mittelalter und zwar das frühe. Aus Zeiten Karl des Großen stammen erste Zeugnisse von Literatur im Althochdeutschen. Der bestieg 768 den fränkischen Thron, da war Li Bai, der Heilige der Dichtkunst schon 6 Jahre tot.

Ha Jin: Der verbannte Unsterbliche. Das Leben des Tang-Dichters Li Bai; Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Hornfeck, 303 Seiten, 2023.

Ich singe und tröste mich mit Wein