„Läuft man durch die Chinatowns in Europa oder Amerika, dann sind Straßen und Gassen oft von Klängen erfüllt, die einen Hauch fernen Ostens verströmen. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen diese Klänge aus Kanton-Opern, da viele Auslandschinesen aus der Provinz Guangdong kommen und in ihrem Alltag neben der kantonesischen Sprache und der regionalen Küche hartnäckig an der Tradition der kantonesischen Oper festhalten.“ So begann ein Artikel des Autors und Kritikers Xie Haitao aus dem Jahr 2003. Zwanzig Jahre später stellte die Regisseurin Louisa Wei auf der Berlin Indie Chinese Cinema Week ihren Dokumentarfilm „Havana Divas“ vor. Die Regisseurin ist den Klängen der Kantonoper bis nach Kuba gefolgt. Ende des 19. Jahrhunderts waren viele Chinesen nach Kuba ausgewandert. Louisa Wei trifft in Havanna auf zwei Frauen, die sich der Kunst der kantonesischen Oper verschrieben haben und diese bis ins hohe Alter praktizieren. Eine von ihnen, Caridad Amaran (*1931), hat selbst keine chinesischen Vorfahren. Aber von ihrem chinesischen Stiefvater lernte sie schon als Kind Chinesisch und die Kunst der chinesischen Oper. Georgina Wong Guitierrez (*1929) war mit ihr gemeinsam in einer Operntruppe, die in den 1940er Jahren tourte. Sie gab jedoch die Oper auf und begann ein Studium, doch Fidel Castros Revolution 1959 durchbrach ihre Pläne. Die Frauen verloren sie sich in den Wirren der Zeit aus den Augen. Viele chinesische Kubaner, die reich genug waren, verließen das Land und die Chinatown in Havanna verfiel. Erst als Caridad und Carina schon in ihren 60ern sind, können sie an die Vergangenheit anknüpfen. Wir lernen mit ihnen die frühere Chinatown in Havanna näher kennen. Vor der Revolution kamen bekannte Darsteller der Kantonoper nach Havanna und traten gemeinsam mit der hier ansässigen Truppe in Kuba auf. Es gab das Golden Eagle Theatre, in dem die beiden als Teenager chinesische Filme gesehen haben. Und da plötzlich schließt sich der Kreis zu Louisa Weis Film über die Filmregisseurin Esther Eng aus dem Jahr 2013. Die hatte nicht nur eine große Affintät zur Kantonoper durch Filme, die im Opernmilieu spielten. Die Hauptdarstellerinnen ihrer Filme und oft auch ihre Partnerinnen waren Opernstars, die die „Havana Divas“ in eben jenem Theater sahen. Esther Eng brachte außerdem als Verleiherin chinesischsprachige Filme nach Kuba, die im Golden Eagle Theatre liefen. Mithilfe zahlreicher alter Photos, Archivmaterialien und Interviews entsteht ein lebendiges Bild der chinesischen Diaspora auf Kuba. Die Bühnenschwestern sind hinreißend und ihre Energie mitreißend. Auch ihr Traum, endlich die südchinesische Heimat ihrer Familien kennenzulernen, hat sich erfüllt. In Berlin haben wir die mittlerweile 10. Schnittfassung des ursprünglich 2018 fertig gestellten Films gesehen. Den Abschluss des Films bilden nun Aufnahmen des Auftritts der „Havana Divas“ in Hongkong. Der Blick in die chinesische Geschichte auf Kuba und eine Reise zurück zu den Wurzeln ist ein Glücksfall.

Mehr zum Film: The Memory of Colour: Havana Divas, Cantonese Opera by Louisa Wei

Kantonoper auf Kuba
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