Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ist das Wort „Globalisierung“ in aller Munde. Zweifellos kommt der ökonomischen Globalisierung dabei die größte Bedeutung zu. Zahlreiche wirtschaftliche Prozesse aber sind mit der Kultur auf das Engste verbunden. Als Teil des gesellschaftlichen Überbaus spiegelt Kultur zwangsläufig die Veränderungen der wirtschaftlichen Entwicklung wider. Aufgrund seiner Besonderheit als visuell-künstlerisches Ausdrucksmittel und technisch-industrielles Medium wurde die kulturelle Globalisierung auf dem Gebiet des Films am augenfälligsten.

In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich der chinesische Filmmarkt gegenüber dem Ausland (v.a. gegenüber Filmen aus Hollywood) vorsichtig geöffnet. Die Freigabe von zehn Filmen pro Jahr führte den chinesischen Film in eine Krise. Man diskutiert also wieder über „nationalen Film“ und den „Schutz des chinesischen Films“, als seien „Globalisierung“, „Amerikanisierung“ und „Kulturimperialismus“ die ultimative Katastrophe für den chinesischen Film. Zwar sieht sich der chinesische Film angesichts der Globalisierung einer enormen Herausforderung gegenüber, gleichzeitig jedoch stellt sie auch eine Chance dar. Globalisierung bedeutet schließlich nicht die Negierung jeglicher nationaler Kultur, sondern ihre Veränderung und Weiterentwicklung.
„Lebwohl, meine Konkubine“ konnte die Anerkennung europäischer Festivals nicht zuletzt gewinnen, weil hier erfolgreich auf das Erbe der Pekingoper zurückgegriffen wurde. Dass „Tiger & Dragon“ den amerikanischen Markt erobern hat, ist ein Erfolg für den chinesischen Film und besonders für die Erneuerung des Kungfu-Genres. Es ist aber auch Zeichen dafür, dass der Film einen weltweiten Geschmack traf. Und die Filme Zhang Yimous sind mittlerweile Teil der globalen Kultur und stoßen auf breite Anerkennung.

Aus Perspektive der Produktion betrachtet, befindet sich die nationale Filmindustrie auf dem Tiefstpunkt. Es gibt sehr viele Filme, die nie in die Auswertung kommen, d.h. sie kommen nicht in den Verleih und schon gar nicht in die Kinos. Sie laufen vielleicht im Filmkanal im Fernsehen, sind also keine Filme im eigentlichen Sinne. Das in sie gesteckte Geld ist verschwendet. Chinesische Filme, die einen Verleih finden und darüber hinaus ihre Produktionskosten wieder einspielen, sind äußerst selten.
Aus Sicht des Verleihs und der Vorführpraxis gesehen, muss man sagen, dass Filme zu zeigen kein einträgliches Geschäft ist. Wenngleich es zahlreiche Organisationen und Institutionen gibt, die alles Erdenkliche zum Schutz des chinesischen, des nationalen Kinos tun. Aber ohne wirkliche Anreize ist eine solche Politik fraglich. Die wenigen Kassenerfolge konzentrieren sich auf einige große Städte und hier wiederum nur auf bestimmte Kinos. Hinzu kommt: für viele ist der Kinobesuch extrem teuer und steht längst nicht mehr an erster Stelle der Freizeitvergnügen. Schaut man auf die Kartenpreise ist der Kinobesuch eher etwas für den Mittelstand, der allerdings in der chinesischen Gesellschaftsstruktur wenig herausgebildet ist. Aber selbst wenn es ihn gäbe, laufen zu wenig gute chinesische Filme und aufgrund der Einfuhrbeschränkungen zu wenig Hollywoodfilme, als dass sich Kino als Mittelstandsvergnügen etablieren könnte. Produktion, Verleih und Projektion stecken in einem Teufelskreis. Die Produzenten können nicht allzu große Summen für einen Film aufbringen, weil potentielle Investoren den chinesischen Filmmarkt für schwach halten. Verleiher und Kinobetreiber wollen keine chinesischen Produktionen zeigen, weil ein Großteil dieser Filme sowieso keinen Marktwert hat. Das führt schließlich dazu, dass nur sehr wenige Filme überhaupt die Chance haben, im Kino ihr Publikum zu finden. Und die Kinos letztendlich bleiben ungenutzt.
Wird die Filmindustrie auf lange Sicht vernachlässigt, wäre das ein herber Verlust für die Kultur des ganzen Landes. Industrie und Technik, von elektronischem und mechanischem Equipement, über photochemische Materialien bis hin zur Architektur und Mode sind aufs Engste mit der Filmindustrie verknüpft. Hinzu kommt, dass der Film schon lange nicht mehr auf das Kino oder die Auswertung im Fernsehen beschränkt ist, sondern eine Profit versprechende Warenindustrie nach sich zieht, also indirekt eine Dienstleistung darstellt und damit von großem Nutzen für die Kulturindustrie ist.

Jeder Kinointeressierte konnte den Aufschwung des koreanischen Films in den letzten Jahren beobachten. Kannte man vor 1990 kaum koreanische Filme, so räumen sie heute die Preise auf internationalen Filmfestivals ab. Zudem sind sie auf dem eigenen wie auch auf dem asiatischen Markt stark vertreten. Und die Entwicklung des koreanischen Modells zeigt mögliche Wege aus der Krise des chinesischen Films auf.
Vor 1990 waren sich der koreanische und der chinesische Filmmarkt relativ ähnlich, denn sie wurden beide von amerikanischen und Hongkong-Produktionen beherrscht. Die Regierungen haben v.a. auf die richtige Ideologie geachtet. Film war lediglich Propagandainstrument des Staates.
Aber infolge der Demokratisierung der koreanschen Gesellschaft wurde die Kultur zum Beratungsgegenstand auf höchster politischer Ebene. Um die nationale Filmindustrie zu stärken wurde eine Quote für koreanische Filme eingeführt. Es gibt ein Netz von Institutionen, die den Film unterstützen. Das Zensursystem wurde 1998 durch ein Stufensystem (ähnlich wie die FSK hierzulande – d. Üb.) ersetzt. Und nicht zuletzt werden die Ausbildungen auf dem Gebiet der Kultur und damit auch des Films optimiert.
Eine genaue Betrachtung des rasanten Aufstiegs des koreanischen Films zeigt, dass die chinesiche Regierung endlich ihre Einstellung ändern und die ideologische Bürde vom Film nehmen muss, um ihn als wichtigen Teil der Kulturindustrie wahrzunehmen. Die zuständigen Regierungsbehörden sollten auf den Gebieten der Filmpolitik, der Filmfinanzierung und Ausstattung Akzente setzen, so dass die chinesische Filmindustrie den Teufelskreis durchbrechen und sich zu einem starken Industriezweig entwickeln kann. Erst dann kann sich der chinesische Film den Herausforderungen und den Chancen der Globalisierung erfolgreich stellen.
Der Autor ist Professor am Bereich für Film und Fernsehen der Zentralen Theaterakademie, Beijing (China).

Lu Haibo – Globalisierung und nationale Filmkultur Chinas