Herr Zhang Changren (张常人) von der Morgenzeitung hatte mich zu einer Sendung über „Frauen und Familie“
eingeladen. Das war nicht sehr geschickt, denn ich habe doch gar keine Familie.
„Pech gehabt! Wie sollte ein Wildkätzchen über „Frauen und Familie“ sprechen, wenn es nicht Mensch ist, geschweige denn Familie hat, vielleicht nur eine Katzenhöhle, vielleicht nicht mal die besitzt.“
Also hab ich das Thema geändert: „An all die Freundinnen, die zum Film wollen“. Da die Zeit drängt, kann ich abermals nicht sprechen, sondern meine Notizen nur niederschreiben, und sie ehrlichen Herzens den Filmliebhaberinnen widmen. Sollte ich irgendwo falsch liegen, bitte ich um Korrektur.
Ich selbst bin Filmfan und ich weiß, dass es unter meinen Schwestern davon sehr viele gibt. Das Leben der Schauspielerin ist bunt und abwechslungsreich: neben den Dreharbeiten, gehören Filme sehen, lesen und Freunde treffen dazu. Zwar bin ich manchmal traurig und verärgert, wenn die finanzielle Lage nicht rosig ist, aber dann zwinge ich mich, an etwas anderes zu denken, und bin wieder fröhlich.
Vor fünf Jahren bin ich mit dem Ziel Schauspielerin zu werden aus Beijing nach Shanghai gekommen. Obwohl ich in den ersten vier Jahren ein unstetes Leben führte und auch seine Härten kennen lernte, habe ich nicht aufgegeben und bin genau vor einem Jahr endlich beim Film gelandet.
Am Anfang wollte ich einfach aus Liebhaberei zum Film. Mein unstetes Leben bescherte mir Druck und Bitterkeit, aber ich habe auch viel gelernt. Später dann wusste ich mehr über den Film und dass er unmittelbar mit den gesellschaftlichen Veränderungen zusammenhängt. Der Film ist nicht nur ein Zeitvertreib der Wohlhabenden und Müßiggänger, keine realitätsferne Kunst, etwas von der Gesellschaft Losgelöstes.
Da gab es beispielsweise die Phase der „Brand im Tempel des roten Lotus“-Filme (火烧红莲寺), als magische Kräfte die Zuschauer in den Bann zogen – die Zeit der Martial-Arts-Filme. Und warum waren solche Filme zu jener Zeit so beliebt? Bestimmt nicht nur aus Neugierde und Spaß. Die normalen Leute spürten am eigenen Körper den Druck, sie waren unzufrieden mit der Gesellschaft, sie erträumten sich eine andere Welt: wenn es Helden wie im Film gäbe, wäre die Gesellschaft nicht so verpfuscht und man könnte ein ruhiges Leben führen. Zumindest boten die Martial-Arts-Filme eine passive Befriedigung und jedes Mal, wenn ein Held einen Räuber oder Schurken zur Strecke brachte, wurde das mit Beifall begrüßt.
Dann verschwanden diese Filme allmählich, sie entsprachen nicht mehr den Bedürfnissen der Zuschauer. Denn Film muss von der gesellschaftlichen Realität ausgehen, entfernt er sich zu weit vom Leben der Zuschauer, ist alles umsonst. Die Leute verspürten angesichts der Martial-Arts-Filme nur noch Leere, ihr Leben wurde von Tag zu Tag härter und sie wollten einen Ausweg. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die populären Filme der jüngsten Zeit die Martial-Arts-Filme verdrängt haben. Obwohl Der wilde Strom (狂流) und Mutterliebe (母性之光) noch nicht richtig das Leben der Menschen durchdringen, legen sie doch wenigstens die Methoden von Kapitalisten und lokalen Machthabern offen, mit denen diese die arbeitenden Massen ausbeuten. Ihr Unglück, was sie selbst nicht artikulieren können, wird auf der Leinwand herausgeschrien. Und es wird ihnen vermittelt, dass sie auf die eigenen Kräfte vertrauen müssen, wenn sie ihre Lage ändern wollen.
Die Zuschauer brauchen Filme, die sich den gesellschaftlichen Erfordernissen anpassen. Das bedeutet, dass die Entwicklung der Kinematografie einhergeht mit dem gesellschaftlichen Wandel. Und weil das Filmschaffen vom realen Leben ausgeht, trägt es eine soziale Verantwortung. Ein Schauspieler muss das unbedingt verstehen.
Die Gesellschaft verändert sich unablässig und die Räder der Zeit stehen nie still und der Film ist an diese historische Entwicklung gebunden.
Als guter Schauspieler muss man darauf reagieren. Es reicht nicht, einfach ein paar Gesichtsausdrücke drauf zu haben. Das wichtigste ist es, von der Realität auszugehen, um alle Facetten des Lebens zu kennen. Die enge Verbindung des Films mit dem realen Leben bedeutet nicht den Tod des Schauspielens. Im Gegenteil, das Mehrwissen um die Charaktere der Figuren und die Handlungsorte, schlägt sich in der mimischen und gestischen Gestaltung nieder. Welche Talente für den gegenwärtigen Film wichtig sind, kann ich nicht im Detail sagen, aber Fakt ist, dass Mingxing, Lianhua und andere Produktionsgesellschaften alle im Moment fähige Leute anwerben. Das ist eine gute Gelegenheit. Es ist nicht schwer, liebe Schwestern, Künstlerin zu werden. Ihr müsst es nur wollen. Um die Realität kennen zu lernen und eigene Ausdrucksfähigkeit zu trainieren, bedarf es eines objektiven Blicks auf die Gesellschaft.
Was Mimik und Gestik betrifft, kann man überall beobachten und studieren: Auf einem Empfang sehen Sie vielleicht eine Offiziersgattin und höhere Töchter, an der Straßenecke aber das Mütterchen, was Gemüse verkauft oder junge Mädchen. Und wenn Sie auf ihre Bewegungen achten, werden Sie sofort feststellen, dass diese Leute zwei unterschiedlichen Schichten angehören. Denn die Mimik und Gestik ist mit ihren persönlichen Lebensumständen verknüpft, lang eingeübte Gewohnheiten, die automatisiert sind.
Wenn Sie aber die Gemüseverkäuferin bitten eine vornehme Dame zu spielen, wird sie das nicht können, denn der Abstand zu deren Leben ist zu groß. Ich fürchte, sie könnte den Unterschied auch nicht sehen, so begrenzt ist ihr eigenes Leben.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Schauspieler nur Figuren aus seiner unmittelbaren Umgebung spielt.
Neben der genauen Beobachtung seiner Umwelt, kann man auch aus Büchern lernen, was man nicht aus eigener Anschauung kennt. Ich werde demnächst in Suzhou Reiche Ernte (丰年) drehen, einen Film, der auf dem Land spielt und den Niedergang der Landwirtschaft zum Thema hat. Obwohl die Ernte in jenem Jahr gut war, geht es den Bauern schlechter als in Hungerjahren. Ich, die ich immer in der Stadt gelebt habe, weiß überhaupt nichts vom Leben auf dem Lande und da ich Shanghai nicht verlassen kann, habe ich mir ein paar Bücher besorgt, die mir helfen sollen. Aber das nur, weil ich keine andere Wahl habe.
Das Drehbuch für Eine Frau von heute (现代以女性) habe ich selbst geschrieben und – ich muss zugeben, es ist nicht gut. Das liegt an mir, weil ich keine Erfahrung im Drehbuchschreiben habe. Der Hauptgrund aber ist, dass ich nicht die wirklichen Lebensumstände der im Drehbuch beschriebenen Figuren kenne. So ist es mir vor allem nicht gelungen Yu Lengs Konflikt herauszuarbeiten. Dennoch war es eine wichtige Erfahrung für mich.
Aber genug davon, ich schweife ab.
Ich denke, Grundbedingung des Schauspielerberufs ist die Kenntnis der Gesellschaft und des Lebens, denn der Film hat eine soziale Verantwortung.
(September 1933, Filmillustrierte (电影画报) Nr.5)