Shanghai 2008
I
Zurück in Shanghai: Wieder wohne ich in der Shaanxi nanlu. Da die Straße auch die Stadtbezirksgrenze bildet und ich diesmal auf der anderen Straßenseite wohne, wohne ich in einem anderen Stadtbezirk. Die Gegend ist mir noch von meinem letzten Aufenthalt vertraut, viel verändert hat sich auf den ersten Blick nicht. Die Teehändlerin und der Obstverkäufer grüßen freundlich, als sei ich nur kurz im Urlaub gewesen. Wo früher Baustellen waren, sind noch immer welche. Einige Läden sind verschwunden, andere hinzugekommen oder Restaurants wurden aufgehübscht. Im unweiten „Mao-Restaurant“ grüßte den Gast am Eingang immer ein Mao-Altar. Der wurde mittlerweile wegrationalisiert. Die chilischotenhaltige Hunanküche bedarf seiner Hilfe offenbar nicht mehr.
II
Gleich am zweiten oder dritten Abend traf ich ihn wieder, den Kirmeswagen voller Plüschteddys. Ich hatte mich schon im vergangenen Jahr gefragt, was es damit auf sich hat, da ich ihn nur abends sehe, wenn er verloren seine Runden dreht. Da stand er plötzlich im Neonlampenlicht vor einem Laden geparkt.
III
Neu sind die Galerien im Viertel, darunter auch solche, in denen man Werke westlicher oder östlicher Kunst nicht nur ansehen, sondern auch gleich bestellen kann. Was darf’s denn sein? Ein Monet oder Rembrandt oder doch lieber ein Yue Minjun? In deutschen Zeitungen war öfter von einem Künstlerdorf im Süden zu lesen, wo man sich gefakte Originale bestellen kann. Aber warum sollte das nur in einem Dorf funktionieren?
IV
Frühling in Shanghai: Es ist kein Geheimnis, dass die Shanghaierinnen sehr modebewusst sind. Das waren sie auch im Winter. Aber nun kommen die letzten Shoppingerrungenschaften ans Sonnenlicht. Das Ganze gepaart mit dem Chinesen eigenen Schuss Pragmatismus ergibt in dieser Saison etwas, dass man Shanghai-Burka nennen könnte. Den Körper verhüllen weite Kleider oder Blusen, in denen jede wenigstens ein bisschen schwanger aussieht. Wer cool aussehen will, trägt dazu eine Sonnenbrille und zwar eines jener bis fast an die Mundwinkel reichenden Modelle. Wenn da Gucci, Chanel oder irgendwas draufsteht ist es supercool. Den Rest des Gesichtes verdeckt die auf sich bedachte Frau mit einem Mundschutz, der gegen den vom Frühlingswind durch die Stadt getragenen Schmutz schützt. Kombiniert wird dieses Outfit gern mit High heels, die Frau meist richtig hilfsbedürftig aussehen lassen. Den krönenden Abschluss bildet ein aufgespannter Regenschirm, der einen möglichst großen Schatten um einen wirft. Sollte gerade mal keiner zur Hand sein, tut es auch die Handtasche fesch schräg überm Kopf gegen das Sonnenlicht gehalten. Der Spass am Kombinieren und die Vorliebe für jegliche Art von Applikaturen, seien es Pailletten, Ziernähte, Fransen, Stoffblumen oder raffiniert Gerafftes machen jeden Stadtspaziergang zu einem visuell sinnlichen Vergnügen.
V
Wenn der Schatten von Platanen und Regenschirmen nicht mehr ausreicht, sucht man wie vor 100 Jahren Abkühlung in den Bergen. Im Norden der Provinz Zhejiang befinden sich die Mogan-Berge, bambusbedeckte Berge, auf denen verstreut schattige Villen liegen. Moganshan war die Sommerfrische für in Shanghai lebende Ausländer. Aber auch vermögende Chinesen wie Du Yuesheng (Anführer der Grünen Bande) oder Zhang Xiaolin (Ehemals Chef der Roten Bande, dann Partner von Du Y.) ließen sich hier nieder. Und Tschiang Kai-shek verbrachte in dieser kleinen Bergidylle seine Flitterwochen. Auch Mao Zedong war hier, aber er ist nicht über Nacht geblieben, geschweige denn besaß er eine eigene Villa. Viele dieser Villen sind heute in Gästehäuser umgebaut. Doch was die vierzig Jahre nach 1949 hier angerichtet haben, ist unübersehbar.
VI
Die Regenzeit ist endlich vorüber. Der schwere feuchte Dunst, der auf den Hochhäusern lag, hatte die Stadt in eine düstere Science-Fiction-Landschaft verwandelt. So phantastisch das Ganze in der Höhe anmutete, so unschön war es, sich als Fußgänger einen Weg durch die Regenschirme zu bahnen. Inzwischen ist das Thermometer auf 39 Grad geklettert und ich möchte ich raus aus dem Stadtmoloch.
VII
Am Kaiserkanal und nördlich des Yangzi liegt Yangzhou, eine Handelsstadt mit vielen kleinen noch erhaltenen Kanälen, die der Salzhandel einst reich machte. Die Legende besagt, dass Marco Polo hier von Kublai Khan als Stadthalter eingesetzt wurde. Darüber gibt es in Yangzhou jedoch keinerlei Zeugnis. Auch der loyale Mandarin Shi Kefa wirkte hier, und man kann sein Anwesen besichtigen. Er verteidigte die Stadt gegen die angreifenden Qing und unterlag schließlich. Er blieb dem Herrscherhaus der Ming gegenüber loyal und lehnte es ab, für die neuen Qing-Herrscher zu arbeiten. Er ging mit der Mingdynastie unter, doch da man seinen Leichnam nicht fand, hielt sich lange Zeit das Gerücht, er führe eine neue Armee gegen die Qingherrscher.
Das ehemalige Salzdepot existiert noch, es wurde in späterer Zeit ein Tempel und heute beherbergt es ein etwas bizarres Volkskunstmuseum: Die Touristengruppen sollen hier den Volkskünstlern bei der Arbeit über die Schulter schauen. Als ich an einem Wochenende dort war, gab es weder Touristen noch Volkskünstler. Das Museum machte einen ähnlichen Eindruck wie das große Hotel, in dem ich abgestiegen war, alles schien für den Empfang von touristischen Heerscharen ausgelegt. Dabei ging man bei der Modernisierung im Vergleich zu anderen chinesischen Städten noch behutsam vor: keine Wolkenkratzer, keine Hochstraßen, ein paar alte Gassen hat man erhalten, erst 2002 hat man die Stadt ans Eisenbahnnetz angeschlossen, kleine Pavillions bilden von Autos umflutete Verkehrsinselchen, Uferpromenaden laden zu Spaziergängen ein und im Westen der Stadt liegt der „Schmale Westsee“, eine Gartenlandschaft entlang der Kanäle.