Dialog_21_China_72dpi-RGB_singleWenn aktuelle Theaterstücke immer auch den Zeitgeist spiegeln, dann ist der Band Mittendrin eine Zeitreise. Sie beginnt im Jahr 1987 mit dem Stück Jesus, Konfuzius und John Lennon von Sha Yexin. Gott schickt darin ein Inspektionsteam auf die Erde, um die Seelen der Menschen zu retten. So selbstverständlich wie der Chinese das ost-westliche Dreiergespann auftreten lässt, wäre das im umgekehrten Fall kaum zu erwarten. Ein westlicher Autor, der einen Chinesen – egal ob Philosoph, Popsänger oder Künstler auftreten lässt, ohne Angst zu haben, dass sein Publikum spätestens dann aussteigt? Dass die Auseinandersetzung mit der westlichen Kultur in China selbstverständlicher ist, könnte die Leser einmal mehr über Eurozentrismus nachdenken lassen.

Nach einer lustigen mit Zitaten gespickten Diskussion im Paradies kommen die drei Gesandten zunächst ins Land der Goldmenschen, wo der pure Materialismus herrscht und dann landen sie im Purpurland, in dem jegliche Freiheit und Individualität unterdrückt werden. Man kann sich unschwer vorstellen, dass sie nicht unbedingt bleiben wollen.

Die Protagonisten anderer Stücke können nicht einfach nach Hause gehen, wenn ihnen etwas nicht passt. Also reden sie drüber, arbeiten sich an der Gegenwart ab. Gegenwartsfragmente werden betrachtet, wie im Bernstein gefangene Insekten. Liao Yimei, seit Rhinoceros in Love (1999) Star einer avantgardistischen Sprechtheaterszene wirbelt in Bernstein Probleme wie Kommerz, Liebe, Herztransplantation und Literaturproduktion durcheinander, dass es für den Leser nicht immer leicht ist, den Faden zu behalten. Bernstein wurde übrigens 2015 in Hamburg aufgeführt und man wünscht sich mehr solcher Gastspiele. Denn der Band macht deutlich, wie international die Kunst des Sprechtheaters ist. Als westlicher Import kam das Sprechtheater Anfang des 20. Jahrhunderts nach China. Natürlich wendet es sich auch sehr chinesischen Problemen zu, die dem westlichen Zuschauer nicht per se geläufig sind, aber die Sprache Theater bringt sie näher. Nehmen wir das neueste der abgedruckten Stücke: Auf zum letzten Gefecht (2007). Meng Bing lässt hier Revolutionäre der ersten Stunde und ihre Kinder zum chinesischen Neujahrsfest aufeinander treffen. Fast nebenbei erfährt man hier einiges über das Denken und Leben im jungen China und den Untergang der Ideale. Die Revolutionsveteranen sterben langsam aus. Und hier endet die Zeitreise.

Ob der Untertitel Neue Stücke aus China für ein Buch passend ist, dessen jüngstes Stück bereits zehn Jahre alt ist, sei dahin gestellt. Der Titel Mittendrin macht leider gar nicht neugierig, so abgedroschen wie er klingt. Und auch die Auswahl der fünf Stücke erschließt sich nicht. So ist Guo Shixing gleich zwei Mal vertreten. Neben Der Go-Mensch (1994) findet sich das Stück Die Frösche (2006): In einem Friseursalon am Meer philosophieren der Meister, sein Kunde, eine Frau und ein hinzukommender Reisender über die Welt: Klimawandel, das Klonen etc. Auch hier zeigt sich, wie sehr die verhandelten Probleme auch unsere sind. China ist längst nicht so weit weg, wie wir denken.

Mittendrin. Neue Theaterstücke aus China, Dialog 21; Hrsg. Hans-Georg Knopp, Chen Ping; Verlag Theater der Zeit, 284 Seiten, 22€.

Wer hat Angst vor Theater aus China?