Schuld an der Entstehung und Langlebigkeit des Genres ist unsere Lust an Horror, an selsamen Begebenheiten und fantastischen Dingen. Im Horrorfilm machen wir Erfahrungen, die in der realen Welt unmöglich sind. Dabei werden unsere Sinne stimuliert, die Abgründe des Unterbewusstseins zu erkunden, bevor wir wieder in ein normales und sicheres Leben zurückkehren. Herzklopfen und ein beschleunigter Atem sind die normalen Folgen des Adrenalinausstoßes, wenn wir mit unseren Ängsten konfrontiert werden.

Das westliche Horror-Genre entstammt der literarischen Tradition der Schauerromane des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie befreiten sich aus dem Korsett der rationalen Aufklärung und die Faszination für das Übernatürliche, Surrealistische und für kollektive Abgründe fand den Weg in diese Bücher. Die erste gothic novel war „The Castle of Otranto“ von Horace Walpole aus dem Jahr 1765. Die Geschichte spielt in einem Spukschloss. Schon dort gibt es Skelette, vom Himmel fallende Rüstungen, Geheimgänge, Portraits, die sich bewegen, von selbst schließende Türen – all diese Dinge tauchen auch in den späteren Horrorfilmen immer wieder auf. Andere Elemente waren eher psychologischer Natur, wie die multiple Persönlichkeit aus Robert Louis Stevensons „Dr. Jekyll und Mr. Hide“ oder die geistige Verwirrung und Depression in Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“. Nicht zu vergessen sind übernatürliche Figuren: So ist Bram Stokers „Dracula“ ist der Urahn der Vampire. Und Mary Shelleys „Frankenstein“ ist nicht nur der erste Science Fiction-Roman, sondern es gibt auch erstmals ein Monster, das wissenschaftlichen Experimenten entspringt. Selbst nach 200 Jahren ist dieses Konzept noch avant-gardistisch. Ein anderes Element der Schauerromane ist die Hässlichkeit oder körperliche Versehrtheit wie im „Glöckner von Notre Dame“ von Victor Hugo.

Gleich in den Anfangsjahren fanden diese Elemente Eingang in die neue Kunst der laufenden Bilder. Georges Méliès, der Magier des Kinos und einer seiner Pioniere, erzeugte seine visuellen Illusionen und Spezialeffekte durch Filmschnitte, Kolorierung und szenische Virtuosität. In dem knapp dreiminütigen Kurzfilm „Le Manoir du Diable“ belästigt ein Zauberer in einer mittelalterlichen Burg die Gäste. Mittels Stopptrick lässt Méliès hier Dinge oder Personen plötzlich auftauchen, verschwinden oder sich verwandeln. Sein Einsatz von Make-up, Showeffekten, Zeitlupen, sich überlagernden Bildern und schnellen Übergängen schuf eine gruselige Atmosphäre und war wegweisend für Stil und Techniken des Horrorfilms.

Ein Meilenstein des Horrorfilms und einer der erfolgreichsten Filme des deutschen Expressionismus ist „Das Kabinett des Dr. Caligari“ von Robert Wiene aus dem Jahr 1920. Die Geschichte wird aus Sicht eines ziemlich unglaubwürdigen Erzählers, nämlich Dr. Caligari selbst, erzählt. Er ist ein wahnsinniger Hypnotiseur, der einen Schlafwandler zum Mord anstiftet. Die gemalten Kulissen mit ihrer verwinkelten Architektur, die schrägen Türrahmen, rautenförmigen Fenster und schwarzen Linien der geometrischen Formen stehen in starkem Kontrast zu den weißgeschminkten Gesichtern. Der visuelle Stil dieses Hororfilms ist einzigartig und wurde oft als Beispiel dafür herangezogen, wie der Horrorfilm die latenten Strömungen einer Gesellschaft einfängt. In seinem berühmten Buch „Von Caligari zu Hitler“ argumentiert Siegfried Krakauer, dass der Film das Unterbewusste und den kollektiven Geist einer Nation verkörpern kann. Viele expressionistische Filme der 1920er Jahre wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ oder „Metropolis“ zeigten den Wunsch der deutschen Nation nach dem 1. Weltkrieg der Realität zu entfliehen und zugleich ihre Furcht vor Chaos, die Sehnsucht nach Ordnung. Auch Hitlers Aufstieg sei letztendlich das Ergebnis einer solchen Verfassung. Kracauers Sicht auf den Film als Fenster in die menschliche Psyche und als Analyse historischer Vorgänge ist umstritten, da die Psyche eines Volkes etwas Fließendes, sich Veränderndes ist. Die Filme enthalten darum widersprüchliche Botschaften und das gilt natürlich auch für die soziokulturelle Symbolik des Horrorfilms, die im Vagen bleibt. Kracauer verweist für die Darstellung des Grauens in der Weimarer Republik auf Furcht vor Manipulation. So wie der Somnambule im „Kabinett des Dr. Caligari“, oder die zum Leben erweckte Lehmfigur aus der mittelalterlichen jüdischen Sage „Der Golem“ manipuliert werden. Wenn der Mensch nicht mehr als solcher handeln kann, treten nicht-menschliche Wesen an seine Stelle. Menschliche Ausweglosigkeit und Einsamkeit sind bis heute Themen des Grauens.

Mit „Nosferatu“ von F.W. Murnau betritt zum ersten Mal im Film ein Vampir die Leinwand. Der Regisseur macht sich den dramatischen Kontrast von Licht und Schatten zunutze, um dieses Wesen, dass sich bei Tag versteckt und nur nachts herauskommt, zu zeigen. Werner Herzogs „Nosferatu: Phantom der Nacht“ von 1979 ist gleichermaßen Hommage an diesen Klassiker und seine Neuschöpfung. Westliche Zombies schließlich gehören seit George A. Romeros „Night of the Living Dead“ (1968) zum Standardpersonal des Horrorfilms.

Michael Powells „Peeping Tom“ und Hitchcocks „Psycho“, beide aus dem Jahr 1960, sind hervorragende Beispiele für den britischen Psychothriller. Auf der Bildebene passiert eigentlich gar nichts, aber durch wechselnde Kameraperspektiven, schnelle Schnitte, Nahaufnahmen und die Musik wird eine Atmosphäre geschaffen, in der sich der Zuschauer alles Weitere ausmalt. Solch vorgestellter Horror ist viel erschreckender als der tatsächlich gesehene, weil das vorgestellte Grauen schon immer ein Stück weiter geht, in Erwartung und aus Angst vor dem nächsten Bild, das kommen könnte. Die Horrorfilme der 1970er Jahre kombinierten nun verschiedene Elemente miteinander. Sie bevorzugen minimalistische Erzählungen und mehrdeutige, offene Enden. Wenig sympathische Hauptfiguren sorgen dafür, dass sich der Zuschauer nicht mit ihnen identifizieren kann. Oft sind sie von Angst und einer tieferliegenden kulturellen Paranoia getrieben. Wes Cravens „The Hills Have Eyes“ (1977) oder Stanley Kubricks „The Shining“ (1980) vereinen eine düstere Athmosphäre, psychologischen Horror, blutige Gewalt, Wahnsinn, Geister u.a. übernatürliche Elemente miteinander.

Zu den westlichen Horrorfilmen über Geister und Dämonen gehören der oft verfilmte The Innocents (1961) und Roman Polanskis „Rosemary’s Baby“ von 1968, in denen es um vom Teufel besessene Kinder geht. Ob es um das Mysterium des Todes, die Trauer über einen Verlust, Traumata oder um verletzliche Menschen, wie Kinder oder Menschen mit Behinderung geht, immer sickert das Dämonische ins Alltags-und Privatleben ein. Der westliche Horror geht mit der christlichen Spiritualität einher, in der der Teufel Gott gegenübergestellt ist. Schon seit tausenden von Jahren gibt es den Kampf zwischen Gut und Böse, aber Weihwasser und Kruzifix können die Mächte des Bösen bezwingen. So retten die Kirche und der rechte Glaube den verirrten Sünder.

Die Geister der japanischen Horrorfilme sind in der dortigen Ideologie und den Wertvorstellungen Japans verwurzelt. Dem Shintoismus zufolge verwandeln sich die Menschen nach ihrem Tod in Geister. Durch Reinigungsrituale kann man die bösen Geister besänftigen, denn sonst üben sie Rache in der Menschenwelt. Volkstümliche Erzählungen sind voll von unglücklichen Frauen, die von Männern brutal ermordet wurden, und deren Seelen sich in Rachegeister verwandeln. An diese Volkskultur anknüpfend, sind die meisten Geister in japanischen Horrorfilmen weiblich. Sie schleppen ihre verdrehten Körper mit sich herum und sinnen auf Rache. „Ring – Das Original“ (1998), „Dark Water“ (2002) oder „One Missed Call“ (2003) stehen alle in dieser Tradition. Hollywood hat diese Geschichten neu verfilmt, wobei sich die Remakes stark von den japanischen Originalen unterscheiden. Während der Fokus östlicher Horrorfilme jenseits des Gesagten liegt, versuchen westliche Horrorfilme mithilfe von Show- und Spezialeffekten größtmöglichen Schrecken zu erzeugen. Die hinter japanischen Horrorfilmen liegenden soziokulturellen Ängste, wie unterdrückte Weiblichkeit, Mobbing in der Schule oder gesellschaftlicher Anpassungsdruck, gingen in den Remakes meist verloren und die Hollywood-Filme wurden zu leicht verdaulichen Unterhaltungsproduktionen.

Das Medium Horrorfilm geht natürlich auch mit der Zeit. In „Ring – Das Original“ steigt Sadako aus einem kistenförmigen Fernseher, was man heute nicht mehr bringen könnte. Denn der Horror heutzutage entspringt dem Netz oder sozialen Netzwerken. Im gesamten Film „Unfriended“ (2014) sieht man nur den Bildschirm eines Rechners. Durch das Video auf dem Computer und Nachrichten in Netzwerken wird die Geschichte vorangetrieben. Aufgrund der Begrenztheit der Videoperspektive entsteht die gruselige Atmosphäre, denn man sitzt vor dem Bildschirm und ist ohnmächtig irgendetwas zu tun. Dieses Monitor-Horror-Genre wurde in der Folge oft kopiert. Der deutsche Film „Friend Request“ (2016) von Simon Verhoeven gehört zwar nicht eigentlich dazu, aber auch hier entwickelt sich der Horror ausgehend von sozialen Netzwerken, über Freundschaftsanfragen und Cybermobbing.

Jörg Buttgereit ist ein deutscher Regisseur, der großen Spaß daran hat, Leute mit einer abartigen Ästhetik zu erschrecken. Seine Filme befassen sich oft mit Selbstmord oder gewaltsamem Tod. Durch den Episodenfilm „Der Todesking“ (1990) ziehen sich beispielsweise wiederkehrende Nahaufnahmen von verrottenden Leichen. „Nekromantik“ (1991), der ein Jahr später herauskam, handelt von einem nekrophilen Paar. Der Film war wegen Leichenschändung, Tierquälerei, sowie der blutigen und freizügigen Darstellung von Leichen und Organen so umstritten, dass er schließlich in Deutschland verboten wurde, was seit dem Nationalsozialismus nicht mehr vorgekommen ist.

Es gibt auch Horrorfilme, die Eingang in den Kunstfilm- und Festivalkreislauf gefunden haben und als Art-Horror bekannt sind. In „The Babadook“ aus dem Jahr 2014 geraten eine alleinerziehende Mutter und ihr Sohn aufgrund eines Dämons aus einem Kinderbuch in einen Kreislauf des Schreckens. Dahinter steht die Verzweiflung über den Verlust eines geliebten Menschen, elterliche Liebe und die Materialisierung des Dämons. Zu diesen tiefgründigen Horrorfilmen gehören auch „Let the Right One In“ (2008), „The Wailing“ (2016), „Thirst“ (2009), Peter Chans „Three: Going Home“ (2002) und „The Story of Southern Islet“, der auf dem diesjährigen Filmfestival Hongkong den internationalen Kritikerpreis gewann. Es gibt hier keinen Horror um des Horrors willen, sondern er bietet einen Rahmen, innerhalb dessen man die vielschichtigen menschlichen Facetten in einer Geisterwelt betrachtet. Lässt man diesen Rahmen weg, zeigt sich, dass Horror nichts außerhalb Stehendes ist, der eigentliche Horror ist der Mensch selbst.

Chen Yun-hua: Horrorfilme