Ch_Geinitz„Go West“ sangen schon die Pet Shop Boys in den 1990er Jahren und brachten damit die chinesischen Diskotheken zum Kochen. Es ist auch eine der wirtschaftlichen Strategien, die itz -so sein FAZ-Kürzel – beschreibt, um Chinas verborgene Schätze zu entdecken und zu heben. Go West meint dabei mitnichten den goldenen Westen in Amerika oder Europa, wie ihn das zum Lied gehörige Video nahelegte, sondern den chinesischen Westen.

Christian Geinitz berichtet seit 2009 als Wirtschaftskorrespondent für die FAZ aus China. Dabei betet er die Zahlen nicht einfach herunter, sondern staunt darüber und deckt die Geschichten dahinter auf. Natürlich kennt er das Klischee, dass derjenige, der nur sehr kurz in China ist, ein Buch über das Land schreiben kann, nach fünf Jahren hingegen, sieht man die Komplexität des Riesenreiches und es entstehen mehr und mehr Fragen. Trotzdem hat er seine Erfahrungen gebündelt und schon auf den ersten Seiten reißt einen der Optimismus mit: es ist der Optimismus, dass nun eine neue Regierung die längst versprochenen und fälligen Reformen in Angriff nehmen wird. Der Autor verdeckt auch Schattenseiten nicht, das Buch soll aber vor allem Mut machen gegen die Unkenrufe von der „gelben Gefahr“. Im Beschreiben und Analysieren liegt genau die Stärke seiner Artikel. Gegen Ende jedoch gerät das Buch mehr und mehr zur Aufzählung, welche Branchen der Konsumgüter-und Dienstleistungsindustrie noch an China verdienen könnten.

Aber zurück zum Anfang: In Chinas wildem Westen (Kapitel 1) herrschen vergleichsweise günstige Bedingungen Schätze zu heben, wie Beispiele des Autobauers Volvo-Geely, aus der IT-Branche oder des Mittelständlers Herrenknecht zeigen. Herrenknecht etwa stellt Tunnelbohrmaschinen her, fertigt diese auch in China, wo inzwischen ein drittes Werk in Chengdu eröffnet wurde. Denn beim Ausbau der Infrastruktur im Westen sind die Maschinen gefragt. Damit nicht genug soll im kommenden Jahr die größte Industriezone Chinas, wenn nicht der Welt eröffnet werden, die Cheng-Yu Economic Zone. Sie lässt die Städte Chengdu und Chongqing noch mehr zusammenwachsen. Einher geht die Entwicklung des chinesischen Westens mit der Urbanisierung des Landes (Kapitel 2). Hier reihen sich die Superlative aneinander und man bekommt feuchte Augen, wenn man daran denkt, dass Berlin es nicht einmal schafft, einen Flughafen zu bauen. In Beijing ist trotz Terminal 3 die Auslastungskapazität bald erreicht und man plant zur Entlastung einen neuen Flughafen im Süden der Hauptstadt. In Qingdao wird am größten Hafen der Welt gebaut und der Westen des Landes profitiert von großen Binnenhäfen wie in Chongqing. Und wenn man nicht gleich so ein Riesenprojekt leitend betreut, gibt es doch zahlreiche Nischen für unterschiedlichste Zulieferer an solchen Großprojekten teilzuhaben. Um all die Großprojekte zu stemmen, steigt natürlich der Energiebedarf Chinas. Die Energieerzeugung und der chinesische Traum von einer Green Economy seien, so Geinitz, der größte Schatz, der zu heben sei. Aber der sei nichts für ungeduldige Schatzsucher, wie der gesamte Chinamarkt ausländischen Investoren einen langen Atem abverlangt.
Das Buch ist dem ökonomischen Fortschrittsgedanken und der Profitmaximierung verpflichtet, wie schon sein Untertitel verrät. Zwar warnt der Autor immer wieder vor Tücken im Chinageschäft oder zu hohen Erwartungen, aber letztendlich bleibt die Analyse der Auswirkungen von Urbanisierung und Veränderung der Umwelt in ihren gigantischen Ausmaßen unterbelichtet.
Konnte Christian Geinitz in den ersten beiden Teilen, die mit vielen Beispielen, persönlichen Begegnungen und Erlebnissen gewürzt sind, den etwas marktschreierischen Titel fast vergessen machen, gelingt ihm das im dritten Teil, der sich um den Binnenkonsum dreht, weniger. Eine stetig wachsende Mittelschicht setzt auf Dienstleistungen. Stichworte sind beispielsweise das Luxussegment und der Tourismus. Da ist noch einiges zu holen, wenn man zum Beispiel noch mehr auf die Bedürfnisse chinesischer Touristen eingeht. Die Frage, die der Autor nicht stellt, ist: Wollen wir das denn? Zur geschmacklosen Aufzählung gehört auch die Antwort auf die Frage: „Was macht China so attraktiv? […] In Schwellenländern treffen großflächig auftretende Infektionen, wie sie in der Dritten Welt üblich sind, auf die Zivilisationskrankheiten der Industrienationen.“ Dass die Pharmaunternehmen frühzeitig auch ohne dieses Buch Marktlücken besetzen, kann sich jeder denken. Auch mit privaten Zusatzversicherungen gegen allerlei Krankheiten, mit Renten- und Lebensversicherungen für die alternde Gesellschaft, die immer weniger von einer Familie aufgefangen wird, kann man bestimmt hohe Profite erzielen. Und schließlich die deutsche Qualität: Die steht bei Chinesen hoch im Kurs: Warum soll die chinesische Frau einen Fissler-Wok für 400 Euro kaufen? Ganz einfach, weil sie es kann. Es gibt also genug Marktlücken, die es auszufüllen gilt.
Im kurzen Schlusskapitel erzählt Geinitz vom steinigen Weg nach China und den Risiken des Chinaengagements. Es ist fast eine Schocktherapie, um die vorigen Seiten der vielen gewinnversprechenden Marktchancen zu relativieren. Fazit: Es ist ein risikoreiches Unterfangen, das Riesenreich von der Werkbank der Welt zu einem konsumorientierten Land umzubauen, aber es kann gelingen. Zumal, so Geinitz im Interview mit dem Verlag, das alte Wirtschaftsmodell in Westchina noch viele Jahre lang fortgesetzt werden könne, während China an der Ostküste den Strukturwandel vorantreibt. Eine Doppelstrategie also. Die Schatzsuche lohnt sich und ein Schatzsucher weiß ja, dass es nicht einfach wird.

Christian Geinitz: Chinas verborgene Schätze. Wie wir am nächsten Aufschwung mitverdienen, Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2013, 311 S., € 24,90.

(in: das neue China 3/2014)

Christian Geinitz: Chinas verborgene Schätze. Wie wir am nächsten Aufschwung mitverdienen