Ein Autor braucht nichts wichtiger als eine Sprache, aber welche das ist, ist im Zeitalter der Globalisierung immer weniger festgeschrieben. Somit berührt Ha Jin mit seinem Essayband „Der ausgewanderte Autor“ ein hochaktuelles Thema. Viele Menschen leben und arbeiten in einem anderen Land, verständigen sich in einer anderen Sprache als der des Herkunftslandes. Auch eine stetig wachsende Zahl von Autoren schreibt in der Sprache des Landes, in dem sie leben. Das ist kein neues Phänomen, war aber früher eher eine Ausnahme. Was verrät die Sprache dem Leser über die Literatur? Ha Jin glaubt, dass Nutzen und Schönheit der Literatur in ihrem Vermögen liegen, das Leben zu beleuchten.
Das ist erst einmal unabhängig davon, ob jemand in seiner Muttersprache schreibt, oder ob der Autor sich in einer erlernten Sprache außert. So wie es Ha Jin tut: Der chinesische Schriftsteller ging 1985 in die USA, um zu studieren, dann überraschten ihn die Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz 1989 und er beschloss, nicht nach China zurückzukehren Er wurde Schriftsteller und begann früh, auf Englisch zu schreiben. War das Verrat an seinem Land, an seinen Lesern?
Ha Jin kreist in drei Essays um die Frage für wen und in welcher Sprache ein Autor schreiben sollte. Er spricht jedoch kaum von sich selbst in der ersten Person. Er schaut auf die Leben anderer und redet dabei über sich. Wir begleiten den Schriftsteller Ha Jin auf seiner Suche und erleben, wie der Professor für Englische Literatur an der Boston University kenntnisreich über ausgewanderte Autoren berichtet.
Salman Rushdie, Milan Kundera, Alexander Solschenyzin, Joseph Conrad, Vladimir Nabokov – sie alle verbindet, dass sie an einem fremden Ort leben und schreiben. Kann ein Autor, der längere Zeit nicht vor Ort in seinem Herkunftsland ist, überhaupt beanspruchen, für die Menschen in jenem Land zu sprechen?
Dabeisein ist schließlich nicht alles. Auch Homer musste nicht mit den Griechen vor Troja gekämpft haben, um von ihren Heldentaten zu singen. Doch wer taugt zum Sprecher seines Stammes? Zuerst sollte sich der Schriftsteller schon vor seinem Weggang einen Namen gemacht haben, so wie ein Solschenizyn oder Lin Yutang. Dann ist ihm auch der Weg zurück in die „alte Heimat“ möglich. Aber was ist Heimat überhaupt? Ist sie das Verlorene, der ewige Sehnsuchtsort? Oder ist Heimat das Neugewonnene? Es ist wohl die Summe der Erfahrungen. Wenn ein Autor sein Land von außen betrachtet, verändert sich seine Rolle ebenso wie wenn er seine neue Sprache benutzt. Nabokov und Joseph Conrad stehen bei Ha Jin als Beispiele für das Ankommen in der neuen Kultur. Natürlich haben wir schon oft gehört, dass Heimat für einen Schriftsteller in der Sprache liegt. Sie ist, wie Hilde Domin sagt, das Unverlierbare. Doch Ha Jin kontert, dass sie bei nicht regelmäßigem Gebrauch schrumpfe und ihre Frische einbüße. Wie der fremde Blick auf die neue Sprache und der vielleicht nicht perfekte Umgang mit ihr durch Sprachwitz erfrischen und bereichern kann, zeigt er am Beispiel des Romans „Pnin“ von Vladimir Nabokov.
Und wir könnten einen Bogen zur sogenannten Migrantenliteratur hierzulande schlagen, zu Feridun Zaimoglu, Terezia Mora, Hertha Müller, Wladimir Kaminer …Wir nehmen sie als deutschsprachige Autoren wahr, bewundern ihren anderen Blick auf Kultur und Sprache und fragen nicht jedes Mal nach Herkunft oder Muttersprache. Was zählt ist ihre Fähigkeit, das Leben zu beleuchten. Das Wichtigste ist laut Ha Jin immer, bei seinen Erfahrungen, bei sich selbst zu bleiben. Ein Dichter ist in seiner Sprache zu Hause, aber dahin gibt es verschiedene Wege.
Ha Jin: Der ausgewanderte Autor. Über die Suche nach einer eigenen Sprache, Arche Literatur Verlag Zürich, Hamburg, 2014, 141 S., 15 Euro.
(in: Ruizhong 2/2014; das neue China 3/2014)