Die außergewöhnliche Zusammenarbeit österreichischer und chinesischer Filmemacher
Auf der Suche nach Spuren des deutschen bzw. deutschsprachigen Films in der frühen chinesischen Filmgeschichte stößt man unweigerlich auf die Namen von Luise und Jakob Fleck. Ihnen gelang Außergewöhnliches: nämlich im kriegsgeschüttelten Shanghai, ihrem neuen, fremden zu Hause mit chinesischen Filmemachern gemeinsam einen Film zu drehen. 1941 entstand unter der Regie von Luise und Jakob Fleck sowie Fei Mu der Film „Kinder der Welt“ (世界儿女). Dieser Film ist wohl das einzige Zeugnis des Filmschaffens jüdischer Emigranten in Shanghai. Lange Zeit allerdings galt der Film als verschwunden und konnte erst 50 Jahre nach seiner Entstehung anlässlich des Chinaschwerpunktes auf der Viennale 1991 wieder aufgeführt werden. Anhand der verstreut vorhandenen schriftlichen Quellen lässt sich ein ungefähres Bild dieser Zusammenarbeit rekonstruieren.
Filmpioniere aus Österreich:
Jakob und Luise Fleck sind österreichische Filmpioniere. 1910 gründete Luise Kolm mit ihrem damaligen Ehemann Anton Kolm die „Erste österreichische Kinofilm-Industrie“.
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1922 heiratete sie 1924 ihren langjährigen Co-Regisseur Jakob Fleck. Von 1926 an bis zu Hitlers Machtergreifung lebten sie in Deutschland, wo sie 30 bis 40 Filme drehten. Danach gingen sie zurück nach Wien, wo sie bis 1938 ihre Filmarbeit fortsetzten. Nach dem Anschluss gab es für das Regieehepaar auch hier keine Möglichkeit mehr zu arbeiten, da Jakob Fleck Jude war.
Wilhelm (später William) Dieterle (1893 – 1972), der erfolgreiche Regisseur und Schauspieler, kannte die Flecks, seit er 1926 unter ihrer Regie „Der Pfarrer vom Kirchfeld“ gedreht hatte. Dieterle lebte seit 1930 in Hollywood und schickte seinen Freunden 1933 1000 Dollar (1), damit sie Deutschland verlassen konnten. Aber die Flecks sollten kein Visum für die USA bekommen. 1938 wird Jakob Fleck für 16 Monate in Dachau und Buchenwald interniert. Dann ergreift das Paar die letzte Möglichkeit, Europa zu verlassen.
Last Exit und Neubeginn
Im Dezember 1940 erschien im Sonderheft zum Film „Konfuzius“ ein Artikel Fei Mus mit dem Titel „Das Ehepaar Fleck: Emigranten und Freunde“ (介绍两位异国友人弗莱克夫妇). Im Februar desselben Jahres waren die Flecks auf der Flucht vor den Nazis nach Shanghai gekommen. „Nach 1½-jähriger Tätigkeit in Dachau und Buchenwald bin ich […] mit meiner Frau in Shanghai gelandet. Wie es mir in Dachau und Buchenwald ergangen ist, das zu schildern erübrigt sich, da Sie ja schon vieles von diesen Vergnügungsetablissements gehört haben werden“ schreibt Jakob Fleck am 27.6.1941 (2). Von China und dem chinesischen Filmschaffen wussten Jakob und Luise Fleck vermutlich nicht viel. Vielleicht hatten sie von den Lianhua-Filmstudios gehört. Diese aber hatten mit der Besetzung Shanghais durch die Japaner im Jahr 1937 ihre Produktion eingestellt. Shanghais internationale Konzessionen waren nunmehr die einzigen noch freien Orte, und sie lagen wie eine rettende Insel im besetzten Shanghai. Von November 1937 bis Dezember 1941, als die Japaner auch die Konzessionen besetzten, wird das unbesetzte Shanghai deshalb als „Waisen-Insel“ (孤岛)bezeichnet. Für die chinesische Filmgeschichtsschreibung stellt diese Periode ein sensibles Thema dar, begegnet man doch den Dagebliebenen mit Misstrauen. Wenig ist deshalb auch über die Filmemacher zu lesen, die sich zurückzogen und eine Zusammenarbeit mit den Japanern ablehnten, so wie Fei Mu: Der frühere Lianhua-Regisseur hatte 1938 in der französischen Konzession die Minhua-Filmproduktion (民华影业公司) gegründet. Diese sollte vier Filme produzieren, bevor sie 1941 ihre Arbeit einstellte und Fei Mu sich fortan der Theaterarbeit widmete.
Das Ehepaar Fleck wollte nicht nur untätig im Exil herumsitzen, deshalb bemühten sie sich sehr, Anschluss an die Shanghaier Filmkreise zu finden. Zusammen mit John Koppanyi, einem Filmausstatter, besichtigten sie die Lianhua-Studios. Hier trafen sie auf den chinesischen Regisseur Fei Mu, der 1940 mitten in den Dreharbeiten zu „Konfuzius“, dem ersten Film der Minhua, steckte.
Jakob Fleck bot Fei Mu die Zusammenarbeit an.“Zusammenarbeit? Das ist doch eine so behutsame Sache, dass wir ihren Wunsch nicht gleich erwiderten“ – schreibt Fei Mu. (3) Jakob Fleck hatte auch schon eine Idee: Der Film solle vom Leid von Chinesen und Juden, sowie ihrem gemeinsamen Kampf handeln. Voller Enthusiasmus schreibt er an Arnold Pressburger in Amerika und fragt an, ob der den Film produzieren wolle. Er umreißt kurz das Projekt mit dem Arbeitstitel „Heimatlos in Shanghai“: „Die Spezialität dieses Films ist, dass wirklich echtes Leben und Treiben, das Lachen und Weinen von Shanghai mit seinen 46 Nationen und mit seinen Emigranten in dieser aktuellen, starken Handlung gezeigt wird und bietet einen großen Einblick in das chinesische Leben mit seinen Sitten und Gebräuchen.“ (4) Eine Antwort von Arnold Pressburger bleibt aus.
Durch den Briefkopf wissen wir, dass die Flecks damals in 1173 Bubbling Well Road wohnten (d.i. Nanjingxilu früher Jing’ansilu). Es war eines der schicken Shanghaier Viertel: in der Nähe befanden sich die in den 20er Jahren errichteten Bubbling Well Appartments. Sie beherbergten in den 30er Jahren das spanische Konsulat und seit 1939 war hier das Uptown Theatre oder Ping’an-Kino (平安大戏院). Es gab ein Geschäft für Sibirische Lederwaren und der Hardoon-Park oder Aili-Garten (爱丽园) war nicht weit. Dieser Name stand für Aaron (Hardoon) liebt Liza. Der Garten brannte während der japanischen Besetzung ab und 1953 wurde auf dem Gelände das Shanghai Ausstellungszentrum errichtet.
Im Januar 1941 gründeten die Flecks gemeinsam mit Herrn Hirsch, einem Fachmann für Filmtechnik und ebenfalls Emigrant, die Academy of Movie Arts, China. Sie sollte sich in erster Linie der Schauspielerausbildung widmen. Dafür wurden Darsteller wie Shi Hui oder Bai Yun als Trainer engagiert. Doch die Akademie existierte nur wenige Monate, bis zum Ausbruch des Pazifikkrieges im Dezember 1941.
Allein die Verständigung mit den chinesischen Filmschaffenden war etwas mühselig. Fei Mu erinnert sich: „Frau Fleck ist Französin, sah etwa 50 Jahre alt aus. Da sie in Wien aufgewachsen war, kann sie ganz fließend Deutsch und auch Italienisch sprechen, dagegen schien ihr Französisch einigermaßen verlernt zu sein. Herr Fleck schien mehr als 50 Jahre alt zu sein und konnte nur Deutsch sprechen.“ (5) Hier irrte Fei Mu: Frau Fleck, geborene Veltée war Österreicherin, lediglich ihre Mutter war Französin. Die Verständigung auf Französisch fiel offenbar aus. Fei Mu sprach Französisch, weil er eine französische Schule besucht hatte und sein erster Job hatte darin bestanden, Filmtexte für Programmhefte zu übersetzen. John Koppanyi sprach ein wenig Englisch. Und da war noch ein Freund Fei Mus, der später berühmte Theaterregisseur Huang Zuolin. Der war zu jener Zeit in Shanghai und konnte bei der Verständigung helfen. Er hatte in England studiert. Er schrieb also alles, was Fei Mu sagte, auf Englisch nieder und gab es dann Herrn Koppanyi bzw. den Flecks. Schließlich soll sich Fei Mu sogar einen Deutsch-Lehrer genommen haben, um sich besser mit den Flecks verständigen zu können. Erfolge sind allerdings nicht überliefert.
Fei Mu und die Minhua-Filmproduktion gaben die Regie ihres zweiten Filmes in die Hände von Luise und Jakob Fleck. Der entstandene Film ist weit von der ursprünglichen Idee Jakob Flecks entfernt. Das Drehbuch entstammt der Feder Fei Mus, der hier bereits Motive seines späteren Meisterwerkes „Frühling in einer kleinen Stadt“ (1947) anklingen lässt. Hier wie dort gibt es beispielsweise eine Dreiecksbeziehung, in der einer der männlichen Protagonisten Arzt ist.
Die Minhua versprach sich von der Zusammenarbeit mit den beiden europäischen Filmemachern eine Hebung des technischen Standards ihrer Produktion und außerdem kam Fei Mu so an zusätzlichen Rohfilm, der damals kontingentiert war.
Der Film
Die Geschichte des Films spielt in den Jahren 1927 bis 1941 in Shanghai. Li Guoxin (Shi Hui)und Chen Shizhong (Zhang Yi) wachsen gemeinsam auf. Guoxin wird wie sein Vater Soldat und verwundet. Shizhong, der Ziehsohn, ist Arzt geworden und kümmert sich um ihn. Wieder geheilt, besuchen sie gemeinsam ein Tanzcafé, wo sie Ah Lian (Lan Lan) begegnen, die dort als Tanzmädchen arbeitet. In ihr erkennen sie die Nachbarstochter aus Kindertagen wieder. Beide verlieben sich in sie. Guoxin bewahrt seine Liebe im Herzen und geht wieder an die Front. Ah Lian bricht mit ihrem Vater, der sie als Tanzmädchen arbeiten lässt und ihr das Geld abnimmt, um es zu verspielen und wird Krankenschwester. Eines Tages erreicht sie Guoxins Todesnachricht. Als er nach einigen Jahren doch heimkehrt, findet gerade die Verlobung von Ah Lian und Shizhong statt. Er stiehlt sich davon. Vor einem Kriegsdenkmal schließlich, treffen sich die drei wieder und beschließen ihre persönlichen Gefühle zurückzustellen und gemeinsam in den Kampf zu ziehen, sozusagen „Kinder der Welt“ zu werden.
Der Film hatte am Abend des 3.10.1941 seine Premiere im Golden City-Kino (金都大戏院) in der Avenue Foch, heute Yanan zhonglu. Dort lief er fast 2 Monate und wurde anschließend im United (国联大戏院) gezeigt. Am 8. 12. brach der Asien-Pazifik-Krieg aus.
Die deutsche oder englische Synchronfassung des Films blieb ein Traum von Jakob Fleck.
Shanghai-Ghetto
Ein gutes Jahr nach dem Verschwinden der Waiseninsel richteten die Japaner das sogenannte Shanghaier Ghetto ein. Im Februar 1943 wurde verfügt, dass alle Juden, de nach 1937 in die Stadt gekommen waren, im Tilanqiao-Viertel in Hongkou, nördlich des Suzhou-Flusses wohnen müssen. Jakob und Luise Fleck mussten in ein umgebautes Lagerhaus in der Muirhead Road 630 (Maohailu 630 茂海路, heute Haimenlu) ziehen. Dort wurden sie in einem Zimmer von etwa 10 qm untergebracht. Hier überlebten sie den Krieg und blieben bis zu ihrer Rückkehr nach Wien im Jahr 1947. Welche Entbehrungen sie litten, kann man Briefen entnehmen, in denen Louise und Jakob Fleck berichteten, dass die bereitgestellten Nahrungsmittelrationen nur zwei Tage statt eine ganze Woche reichten, dass sie nach und nach ihre Kleidung gegen Essbares eintauschten und erheblich an Gewicht verloren. Im Jahr 1945 baten sie Freunde und Bekannte wie William Dieterle oder Arnold Pressburger um Geld und Kleidungsstücke. „Wir bitten euch inständigst bei den Kollegen unseres Berufes eine Sammlung für uns zu veranstalten, damit wir wieder in die Lage kommen, uns das Nötigste anzuschaffen, um die Möglichkeit zu haben, uns unter Menschen zeigen zu können und mit Firmen in Verbindung zu treten, um ein Engagement zu erhalten.“ (6)
Das geplante Comeback im neu entstehenden Filmgeschäft kam nicht mehr zustande. Luise Fleck starb 1950 in Wien, ihr Mann Jakob Fleck folgte ihr drei Jahre später nach.
(1) Hervé Dumont: Un Humaniste au Pays du Cinéma, Paris 2002, S. 83.
(2) Schriftgutarchiv der Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin, Sammlung A. Pressburger.
(3) Fei Mu: Das Ehepaar Fleck: Emigranten und Freunde zit. Nach: Teng Guoqiang: Fluchtpunkt Shanghai , Film Exil 4/1994, S.50.
(4) siehe 2
(5) siehe 3
(6) Schriftgutarchiv Deutsche Kinemathek Berlin, Sammlung Charlotte Dieterle, Brief v. Dezember 1945.
(in dnC 1/2013)