Wenn man die 345 Seiten von Markus Frenzels „China Leaks“ durchgelesen hat, schwirrt einem der Kopf: So viele Namen, Begebenheiten, zeitliche Sprünge purzeln durcheinander. Die Botschaft ist: China gleich Gefahr. Da war doch was? Wiederholt sich mal wieder die Warnung vor der gelben Gefahr? Aber – das Buch passt in unsere Zeit. Es gibt sich mitunter stimmungsvoll erzählerisch, folgt einer klaren ideologischen Agenda, und ist doch schwammig. Es passt auch deshalb in unsere Zeit, weil es vor zu viel Blauäugigkeit gegenüber China warnt. Dem großangelegten Angriff auf die Demokratie und westlichen Werte stehen auf deutscher Seite in der Tat Naivität, Profitgier, Kurzsichtigkeit und Trägheit gegenüber.
An wen richtet sich das Buch? Lesen Lobbyisten? Wird man nach der Lektüre zu einem wenigstens halben Chinaexperten? (Deren Mangel wird doch allerorten und auch in diesem Buch beklagt.) Auch das ist ein bereits älteres Modell im Umgang mit China: Man eigne sich lieber schnell Halbwissen an, als jemanden zu befragen, der sich mit dem Land länger beschäftigt und womöglich Land, Kultur und Sprache kennt. Und Sinologen kommen in dem Buch nur als Chinaversteher vor, die aufgrund ihres Berufes Kooperation mit der chinesischen Autokratie um jeden Preis suchen.
Anlass, das Buch zu schreiben, ist ein aus einem Datenleck stammendes Dokument mit Namen, das Journalisten und China-Insidern zugespielt wurde. Markus Frenzel, preisgekrönter Investigativ-Journalist bei RTL, arbeitete gemeinsam mit 20 Reportern aus 10 Ländern in der sogenannten Dragon-Coop und analysierte die geleakte Liste. Auf ihr standen die Namen chinesischer Kontaktpersonen weltweit, die über Verbände und Organisationen mit der weisungsgebenden Einheitsfrontabteilung der Kommunistischen Partei Chinas verbunden sein sollen und ein klandestines Netz von Informanten, weiteren Kontakten und chinesischen Freiwilligen, von China wohlgesinnten Menschen aufgebaut haben, die alle bereit seien, das chinesische Narrativ zu verbreiten. 47 Namen davon sind für Deutschland relevant. Im Klappentext heißt es, dass auch in Deutschland ein geheimes Netzwerk im Verborgenen daran arbeite, die Welt brutal nach chinesischem Muster auszurichten und bereits weit gekommen sei.
Aber, wende ich ein, nicht jeder Chinese ist der verlängerte Arm seiner Regierung. Doch der Autor warnt vor auch scheinbar gut integrierten Personen.
Aushorchen, verleumden, bedrohen, Karrieren verbauen – all das sind Methoden der Zersetzung, die es auch schon vor dem Internetzeitalter gab, nur erreichen sie jetzt noch schneller ihr Ziel.
In Deutschland konnte man das hautnah erleben, wenn man denn wollte. Schon damals, nach der Wiedervereinigung, gab es übrigens die Frage, ob den Stasiunterlagen bedingungslos Glauben geschenkt werden könne. Der Autor zweifelt nicht. Jeder Chinese könnte ein potentieller Informant sein. Dass diese Annahme vor allem für Chinesen, Uiguren, Menschen, die hier Asyl suchen ein Problem ist, erwähnt er nicht.
Was beweisen Fotos von Restaurantbesitzern, die eine chinesische Delegation empfangen? Für den Autor ist klar, dass die gemeinsame Sache machen. Was wäre denn, wenn so ein Restaurantbesitzer seine Tür verschlossen hätte? – Eine vielleicht müßige Frage, da dies nicht der chinesischen Mentalität entspricht. Richtig ist sicher die Feststellung, dass nicht nur Chinesen selbst für ihre Regierung arbeiten, es tun auch deutsche Politiker, Wissenschaftler, Freunde Chinas, die in einer Grauzone eingeordnet werden können und daher möglicherweise unwissentlich von Nutzen für Peking sind. Und natürlich spricht Markus Frenzel auch über die Konfuzius-Institute, die in einer mager finanzierten deutschen Bildungs- und Wissenschaftslandschaft auf fruchtbaren Boden fielen. Dass finanzielle Abhängigkeiten unabhängiges Handeln erschweren oder gar unmöglich machen, ist indes kein Geheimnis.
„Nicht einmal die entgegengesetzten Weltanschauungen scheinen bei Kontakten der Politprominenz mit Vertretern des chinesischen Regimes zu stören.“ Das steht tatsächlich auf Seite 164, wo es um politische Kontakte geht. Bisher galt, dass man trotzdem miteinander redet. Aber unsere Welt wird scharz-weißer. Wenn die Politprominenz nur zu Freunden mit gleicher Weltanschauung flöge, wäre vielleicht ihr ökologischer Fußabdruck um vieles kleiner. Ob das der globalen Verständigung nützte, darf man bezweifeln. Die Frage ist ja nicht, warum wer mit wem Kontakt hat oder auf einem Foto ist, sondern wer gekauft wird bzw. sich kaufen lässt.
In dem Buch steht mir zu oft „es scheint“ oder „jemand behauptet“. Leider leistet es keinen Beitrag zur Aufklärung, sondern gibt Verschwörungstheoretikern Aufwind, die hinter jedem asiatisch gelesenen Gesicht einen chinesischen Agenten wittern.
China Leaks. Pekings geheimes Netzwerk in Deutschland von Markus Frenzel, C.H. Beck 2024.