Im Winter 2024 gab es dank „Around the World in 14 Films“ das wunderbare Zusammentreffen zweier chinesischer Filme auf deutschen Leinwänden: Einer von Jia Zhangke und der andere mit Jia Zhangke in der Rolle eines – nun ja – Bandenbosses. Ein anderer Name, der beide Filme verbindet, ist der des französischen Editors Matthieu Laclau. Beide Filme blicken auf die jüngere Vergangenheit zurück. Was hat die Zeit der rasanten Veränderungen in China mit den Menschen gemacht? „Caught by the Tides“ (风流一代 )von Jia Zhangke umspannt die letzten dreißig Jahre, Guan Hus „Black Dog“ (狗阵) hingegen widmet sich dem Jahr der Olympischen Spiele in Beijing und der totalen Sonnenfinsternis am 1. August – 2008.

In „Caught by the tides“ blickt Jia Zhangke auf seine Filme und auf das von ihm erschaffene Paar Qiaoqiao und Bruder Bin zurück. Dabei zeigt er nichtverwendete Aufnahmen früherer Filme und schöpft aus seinem Archiv an Videoaufnahmen, mit denen er seit über zwanzig Jahren jeden seiner Drehs begleitet. Um schließlich den Bogen zur Gegenwart zu schlagen, fügte er neu gedrehte Aufnahmen hinzu. Die Formate mischen sich, aber eigentlich, so Matthieu Laclau, solle der Zuschauer nicht erkennen, von wann oder woher verwendetes Material gerade stammt. Das nenne ich mal filmisches Upcycling! Auch in früheren Filmen hat er Archivmaterialien benutzt. Das sei sein Weg an die Vergangenheit und seine eigene Jugend anzuknüpfen, denn zu viel habe sich seither in China verändert, erzählt Matthieu Laclau, der seit „A Touch of Sin“ (天注定) als Editor zur JZK-Crew gehört. Nun aber hat Jia Zhangke die Art, eine Geschichte mit den gleichen Schauspielern über eine länge Zeitspanne zu erzählen, auf ein neues Level gehoben.

„Black Dog“ begibt sich in eine Provinzstadt am Rande der Wüste Gobi, die abgewirtschaftet ist und an der der bisherige Aufschwung des Landes spurlos vorüberging. Wer konnte, ist weggegangen, zurück blieben nur die Alten, gestrandete Existenzen und streunende Hunde. Traurig rücken immer wieder die Zeichen des Stadtnamens Chixia auf einem Hügel ins Bild. Trostloses Zeichen zu großer Pläne à la Hollywood. Lang (Eddie Peng), ein ehemaliger Rockstar und Motorradchampion, kehrt nach abgesessener Gefängnisstrafe zurück, alte Freund- und Feindschaften leben weiter, doch die Leute haben hier nichts anderes, als sich miteinander zu arrangieren, um zu überleben. Langs Vater, der einen verfallenen Zoo besitzt, ist Alkoholiker, Lang soll sich um die Tiere im Zoo kümmern, wenn sein Vater einmal nicht mehr lebt. In Vorbereitung auf die Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking sollen die streunenden Hunde eingefangen werden. Auf ein besonders aggressives Exemplar wird eine Prämie ausgesetzt. Lang schließt sich einer Gruppe von Hundefängern unter der Leitung von Onkel Yao (Jia Zhangke) an, hat aber Mitleid mit dem schwarzen Hund und gerät in Konflikt mit den Kollegen. Die zwei Außenseiter finden zueinander. Auch wenn der schwarze Hund am Ende stirbt, hat er doch mit einer streunenden Hündin einen Welpen gezeugt, das Leben geht weiter. Am Tag der Sonnenfinsternis kulminiert die Szene: Die verbliebenen Bewohner der Stadt fahren in die Wüste, die Sonnenfinsternis zu beobachten, die Tiere werden aus dem Zoo befreit, Lang nimmt im Krankenhaus ein letztes Getränk mit seinem Vater, bevor er den Stecker zieht und mit dem Welpen die Stadt verlässt. Mit der filmischen Parabel und Ode an die Außenseiter kehrt auch Regisseur Guan Hu zu seinen Anfängen zurück. Schon sein Debutfilm aus dem Jahr 1994, „Dirt“ (头发乱了), erzählte von unangepassten Streunern, von Musikern, deren Lebensstil damals aneckte.

Matthieu Laclau und Jia Zhangke

In drei Teilen erzählt der Film von Qiaoqiao (Zhao Tao) und Bruder Bin (Li Zhubin): Zunächst sind sie in der Provinz um die Jahrtausendwende. Qiaoqiao jobbt in Datong als Tänzerin und Model, um den Konsum anzukurbeln, sie ist mit ihrem Manger Bruder Bin zusammen, doch wollen beide neue Wege ausprobieren. Man erkennt viele Aufnahmen aus „Unknown Pleasures“ (任逍遥 ), in dem die beiden 2001 spielten. Im zweiten Teil verlässt Qiaoqiao Datong und begibt sich auf die Suche nach Bin. Die führt per Schiff nach Sichuan zum Drei Schluchten-Damm, wie im Film „Still Life“ (三峡好人 ) aus dem Jahr 2006. Nachdem sie sich dort von Bin getrennt hat, begegnen sich schließlich beide, sichtlich gealtert, in Datong wieder. Es ist die Zeit der Corona-Pandemie, Masken werden getragen, Desinfektionsmittel versprüht. Bin Ge, ein alter Mann, der einsam und resigniert wirkt, während die noch immer dynamische Qiaoqiao sich in eine abendliche Laufgruppe einreiht und im Strom der Jogger mit blinkendem Equipement in den Straßen Datongs verschwindet.

Es ist auffällig, dass die Protagonisten beider Filme wortkarg bis sprachlos sind. Was wir über Lang wissen, erfahren wir aus den Gesprächen anderer, und Qiaoqiao schweigt den ganzen Film über. Die Idee hatte Jia Zhangke, als Qiaoqiao sich auf dem Boot zu den Drei Schluchten etwas zu essen kauft. Die Maschinen waren laut und sie fragte, warum sie denn schreien solle, es ginge doch auch mit Augen und Gesten. Das inspirierte Jia Zhangke dazu, die Figur stumm zu lassen. Der Zuschauer solle viel mehr auf Gesichter, Gesten und Umgebungsgeräusche achten, der Gebrauch von Zwischentiteln wie im Stummfilm schien darum die geeignete Wahl. Es gehe ihm um die Zeit, die Qiaoqiao durchlebt hat. Die Leute reden eh zu viel.

Letztlich optimistisch stimmen die offenen Enden nicht. Man lebt noch, und es geht weiter. Wie der sprichwörtliche Bambus, der sich im Sturm biegt, doch nicht bricht, was auch passiert, die Menschen lassen sich nicht unterkriegen.

Notiz zu zwei Filmen aus China
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