Die Regisseurin und Drehbuchautorin Bettina Wilhelm plant einen Film über ihren Großvater, den berühmten Sinologen und Übersetzer Richard Wilhelm (1873 – 1930) mit dem Arbeitstitel „Wandlungen“. Seit zwei Jahren arbeitet sie an dem Projekt, hat eine Menge von Materialien gesichtet, ein Drehbuch geschrieben und ist nun auf der Suche nach Geldgebern. Wenn die Finanzierung endgültig steht, kann sie im Herbst 2008 anfangen zu drehen. „Wandlungen“ soll ein abendfüllender Dokumentarfilm werden, also 90 bis 120 Minuten lang.
Betrachtet man Bettina Wilhelms bisherige Arbeiten, erstaunt man zunächst über die plötzliche Hinwendung zu China und der Geschichte ihrer Familie. „Natürlich“, sagt sie, „standen bei uns zu Hause die Bücher meines Großvaters im Regal. Aber ich dachte immer, das hat nichts mit meinem Leben zu tun.“ Bettina Wilhelm ist zwar in Shanghai geboren und hat die ersten Monate ihres Lebens dort verbracht, doch dann kehrte die Familie nach Deutschland zurück. Sie besuchte in Köln die Schule und studierte in Basel und London. Anschließend widmete sie sich eigentlich ausschließlich in einem europäischen Kontext der Theater-und Filmarbeit. Bekannt wurde sie mit einer Reihe von Dokumentar- und Spielfilmen wie z. B. „All of me“, 1990, einem Dokumentarfilm über Georgette Dee, oder dem Spielfilm „Julies Geist“ (2001). Und nun China: Für Bettina Wilhelm ist der Film eine Art Rückkehr zu den Wurzeln ihrer Familie und deren Geschichte. Einen konkreten äußeren Anlass gebe es nicht, es sei eher eine Frage der Zeit gewesen, sich dem vergleichsweise großen und zugleich persönlichen Thema zuzuwenden
Im Mittelpunkt soll die Frage nach dem Menschen Richard Wilhelm stehen und danach, was ihn bewegte, sich intensiv mit der chinesischen Sprache und Kultur auseinanderzusetzen. Er kam 1899 als Missionar einer relativ liberalen Mission in das damals deutsche Pachtgebiet Qingdao. Hier nahm er seine Studien der chinesischen Sprache auf, wirkte als Lehrer und Übersetzer. Der Nachwelt bekannt ist Richard Wilhelm durch seine Übertragungen der klassischen philosophischen Werke Chinas. Hier nimmt sich die Regisseurin seine 1924 erschienene Übersetzung des Yijing (in wilhelmscher Schreibung I-Ging) heraus, des Buches der Wandlungen. Das Buch diente vielen als Inspiration und wird bis heute herangezogen, um den Sinn einer gegenwärtigen Situation zu erfassen, mit der Gesamtheit des eigenen Lebens zu verbinden und daraus Schlüsse für eigenes Handeln zu ziehen. Bettina Wilhelm hat mit Yijing-Experten aus Deutschland und Amerika gesprochen und möchte mittels ihrer Interpretationen eine Brücke vom klassischen China in unsere heutige Zeit schlagen.
Da ist beispielsweise Richard Smith, Yijing-Forscher und Kommentator von der Rice University in Houston, Texas, der die Entwicklung und „Globalisierung“ des Buches untersucht. Er fragt, wie es zum Klassiker werden konnte und inwiefern es mit kanonischen Werken anderer Kulturen, wie der Bibel, der Torah oder den hinduistischen Veden vergleichbar ist. Aus einer ganz anderen Perspektive nähert sich Jack M. Balkin von der Yale Law School in New Haven, Connecticut, dem Yijing. Er beschäftigt sich viel mit virtuellen Welten und den Gesetzen innerhalb dieser bzw. ihrem Einfluss auf unser reales Dasein. Sein 2003 erschienenes Buch „The Changes of Law“ ist eine Neuinterpretation der Gesetzmäßigkeiten, denen unsere Welt unterliegt und ein Plädoyer für den harmonischen Umgang mit diesen. Dr. Henrik Jäger von der Universität Trier führt mit Hilfe des Yijing Lebensberatungen durch. Wenn die Regisseurin mit seiner Hilfe das Yijing befragt, bekommt der Film eine persönliche und praktische Ebene, die wiederum den Bogen zum potentiellen, nicht sinologisch vorgebildeten Zuschauer schließt.
Das Buch soll als roter Faden für die vielen Fragen Richard Wilhelm betreffend dienen. Schließlich werden sich Originaltöne und Voice-over der eigenen Annäherung an den Großvater mischen. Im Glücksfall entsteht dann eine Art Zwiegespräch zwischen der Enkelin und den Antworten R. Wilhelms aus Dokumenten. Vergessen wir nicht die visuelle Seite, denn gedreht werden soll auf den Spuren Richard Wilhelms in China, v.a. Qingdao. Dafür hat Bettina Wilhelm den Schweizer Kameramann Peter Indergand gewonnen. Der erhielt übrigens für seinen letzten Film „The Giant Buddhas“ (Regie: Christian Frei) den Golden Panda Award 2007 auf dem Sichuan TV Festival.
Trotz Konzept und fertigem Drehbuch ist es schwer, den Film ganz genau zu umreißen. Sie wolle sich auch noch Freiräume lassen, für spontane Begegnungen, für Bilder, die man nicht genau planen kann. Man spürt die Vorfreude und Begeisterung, wenn sie über ihren Film spricht, die Faszination des Neuzuentdeckenden. Der Film werde eine Mischung aus Dokumentar- und Essayfilm, es sei schwer dafür einen Begriff zu finden. So einen Film gebe es einfach nicht. „Aber manche Filme muss man machen und dieser gehört dazu.“
Die Arbeiten Richard Wilhelms sind in der Fachwelt nicht unumstritten, denn sie entstanden nicht in einem streng akademischen Kontext, sondern stellen die Verständigung zwischen China und Europa, die Kulturvermittlung auf einer Traditionen überschreitenden Basis in den Mittelpunkt. Diese Perspektive nimmt auch die Regisseurin ein, denn als Nicht-Sinologin teilt sie den Blick des Publikums der unvoreingenommenen Sicht auf ein hochinteressantes Leben und Werk.
(dnC 4/2008)