Von der fliegenden Heldin zum 1. linken Film

Gong Jianong und Xia Peizhen in: Wilder Strom

Vorn links im Bild sitzt ein Mann auf den schlammigen Stufen eines Deiches, rechts neben ihm steht eine Frau, von der er gerade eine Schale (Tee) entgegennimmt. Sie hat sich von ihm abgewendet, beide blicken in dieselbe Richtung, auf etwas außerhalb des Bildes. Die Frau hat ihren Körper leicht gedreht, um zu sehen, was vom Betrachter aus gesehen, da vorne rechts passiert. Rechts neben der Frau am Bildrand steht auf einem Schemel eine Teekanne. Der Deich im Hintergrund ist verschwommen. Es wird gearbeitet: Man sieht Beine, Schaufeln, ein Holzgestell, einen Bastkorb. Auffällig ist die Kleidung der Frau: ein traditionelles, wahrscheinlich wattiertes Kostüm mit Blüten und Ranken, dazu ein hinten verknotetes geblümtes Kopftuch. Der Mann neben ihr trägt Lederschuhe, helle Hose, dunkles Jacket mit Stehkragen und einen hellen Hut. Die traditionelle Kleidung soll sie als Mädchen vom Land identifizieren. Mir aber hat es die Kopfbedeckung angetan. Das Bild stammt aus dem Film „Wilder Strom“, der heute leider verloren ist und als erster linker Film der Mingxing Filmproduktion gilt.

Umdenken in der Filmbranche

1932 folgten die Studiobosse der Mingxing dem Zeitgeist, der ihnen sagte, dass die Leute genug hatten von den phantastischen Geschichten und fliegenden Helden, dass man mehr Realismus auf Chinas Leinwänden sehen wollte. Bei Zheng Zhengqiu klingt das folgendermaßen: „ Chinese filmmakers, of course including me, all want to make progress. The pity is that we lack the nessesary knowledge. Therefore we musst ally ourselves with the progressive personages in literary and art circles and ask them to be our comrades-in-arms!“1 Sie engagierten deshalb fortschrittliche Autoren der linken Liga, wie Xia Yan oder Ah Ying als Drehbuchautoren.

„Wilder Strom“ (狂流) erzählt vor dem Hintergrund der Yangtse-Flutkatastrophe 1931 die Geschichte eines kleinen Dorfes nahe Hankou und des Kampfes der Bewohner gegen die Flut. Wie der größte Teil der Filmproduktion dieser Zeit gilt auch Wilder Strom als verschollen. Erhalten geblieben sind sein Drehbuch, einige Filmstills, Erinnerungen von Mitwirkenden und zeitgenössische Kritiken. Faszinierend ist die Mischung aus melodramatischen Elementen, wie sie die damals populäre Mandarinenten-und Schmetterlingsliteratur verwendete, und klassenkämpferischen Elementen sowie die Verbindung dokumentarischen und fiktionalen Materials.

Gong Jianong und Hu Die in: Wilder Strom

Der Film beschreibt den Klassenkonflikt zwischen den ansässigen Bauern und ihrem Grundbesitzer Fu Boren, der alle Gelder zur Flutprävention in die eigene Tasche gewirtschaftet hat. Anführer der Bauern ist der Grundschullehrer Tiesheng (Gong Jianong). Daneben gibt es ein Liebes- und Eifersuchtsdrama, denn Tiesheng liebt Xiujuan (Hu Die) die Tochter des Grundbesitzers. Die soll standesgemäß verheiratet werden. Doch statt mit ihr wegzugehen, kümmert sich Tiesheng lieber um die bedrohten Deiche. Dabei rettet er das Dorfmädchen Su Zhen (Xia Peizhen) aus den Fluten, was diese ihm mit Liebe dankt. Voilà, eine klassische Konstellation vieler Filme dieser Zeit, ein Mann zwischen zwei Frauen. Aber Su Zhen erkennt, dass Tiesheng die andere liebt, bevor der Deich bricht und alles in schmutzigen Fluten versinkt.

Die Heldin mit der Kopfbedeckung (巾帼英雄 )

Dreharbeiten, im Hintergrund Xia Peizhen

Das Kostüm von Xia Peizhen auf dem Bild scheint wie eine Fortschreibung ihrer erfolgreichen Rolle der furchtlosen Heldin. Tatsächlich gehörte Xia Peizhen in den 1920er und beginnenden 1930er Jahren zu den größten Stars und bestbezahlten Schauspielerinnen Chinas. Sie war die einzige, die in allen Folgen von „Burning of the Red Lotus Temple“ (火烧红莲寺) auftrat, daneben drehte sie 20 weitere Filme und war bis 1934 vielbeschäftigt. Doch dahinter steckt ein tragisches Schicksal: Xia Peizhen wurde 1908 geboren und entstammte einer armen Nanjinger Familie. Mit 13 Jahren schickten die Eltern sie nach Shanghai zu einem Onkel, der sie in Schauspielerkeise einführte. Ihre erste Filmrolle hatte sie 1927 als Spinnengeist in „Cave of the Silken Web“ (盘丝洞), war dann erfolgreiche Heldin zahlreicher Martial Arts-Filme, meisterte auch den Übergang zum Tonfilm, sodass der Onkel nun von ihrem Einkommen leben konnte. Da er Angst hatte, sie könne heiraten und damit sein Haus verlassen, was bedeutet hätte, dass seine Einnahmequelle wegbrach, soll er sie opiumsüchtig gemacht haben, was dazu führte, dass sie sich 1932 bei den Dreharbeiten zu „Blutschuld“ (血债) bei einem Stunt schwer verletzte. Anderen Quellen zufolge führte erst die Verletzung zu ihrer Opiumsucht. Fakt ist, dass die Mingxing sie 1934 feuerte. Sie versuchte, sich fortan mit Theaterspielen über Wasser zu halten. In den 1950er Jahren entdeckte man sie im Wuhan-Filmstudio wieder, wo sie in der Bibliothek arbeitete. Xia Peizhen starb vermutlich 1975.


1 Zheng Zhengqiu: How to take the Road Forward? 如何走上前进之路, Mingxing Monthly 1/1933, zit. nach Hu Jubin: Projecting a Nation, 2003.

Xia Peizhen: Gedanken bei Betrachtung eines Fotos
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