Der eher ungewöhnliche Film war von Anfang bis Ende umstritten. Die Zuschauer positionierten sich klar für oder gegen den Film.
Von Chen Yun-Hua und Ding Dawei
Angela Schanelec, die Vertreterin einer „deutschen Nouvelle Vague“, verheimlichte in ihren Filmen nie den Einfluss von Yasujiro Ozu. Ich war zu Hause, aber … ist bereits im Titel ein Tribut an Ozus I was born, but … aus dem Jahr 1932. Der Gewinn an Lebensklugheit und der langsame Prozess der Selbstvervollkommnung sind hier zwei miteinander verflochtene Fäden, an denen die Regisseurin erneut ihr Interesse für Familienbeziehungen und das Heranwachsen zeigt.
In minimalistischen Bildern wie aus einem Familienalbum errichtet Schanelec ein seelisches Labyrinth.
Die wenigen Dialoge und Kamerabewegungen bilden seine Wände, durch die der Zuschauer, wie durch eine Linse schauen kann. Die Figuren sind in dem komplizierten Inneren gefangen, versuchen, einen Ausweg zu finden und dabei den in seiner Einsamkeit gefangenen Sohn Philip zu retten. Nicht nur er, sie alle stecken in diesem Irrgarten, aus dem sie raus müssen, doch das kann jeder nur selbst schaffen.
Ob die Figuren sich selbst anklagen oder plötzliche Einsichten erlangen, ob Nebenhandlungen ein Echo finden und zur Aufklärung beitragen, alles dient der Rettung, ihrer Selbst bzw. des Beziehungsgefüges der drei Personen und wird damit wichtig.
Daneben sieht man die Hamletproben der Schulklasse, die einen wichtigen Teil des Films ausmachen. Ihre Bedeutung liegt nicht in einer etwaigen Dopplung der Handlung. Die Proben sind ein nicht-spontanes Gegengewicht, und seelisches Reinigungsritual, sind gewissermaßen ein Mediator und stellen eine Verlängerung der Psyche dar. Man könnte sie als einen Film im Film sehen. Das zuschauende Mädchen, die Gestik auf der Bühne, Text, Bewegungen der Körper – die Kamera wechselt von der beobachtenden zur subjektiven Kamera und von der Nahaufnahme zur Gesamtansicht. In diese Szenen sind die eigenen Erfahrungen der Regisseurin eingeflossen. Das etwas unbeholfene Spiel der Kinder wird unter ihrem Blick sowohl sentimental als auch komisch.
Angela Schanelec richtet ihre Kamera auf die kleinen Dinge des Lebens, um Stück für Stück das Ganze freizulegen. Darin zeigt sich wieder der Einfluss von Ozu. Sie entwickelt jedes Bild, d.h. die einzelne Einstellung mit ihrer Spannung nach außen, das Gleiche gilt auch für die narrative Entwicklung. Wir blättern durch dieses Familienalbum, sehen die Menschen und ihre Umgebung, aber nie das komplette Bild. A. Schanelec möchte die plötzlichen Entscheidungsmomente zeigen, in denen das, was davor oder danach passiert bereits enthalten ist. Für ihre Figuren wählte die Regisseurin größtenteils die Sprachlosigkeit. Das Schweigen selbst wird zur Erzählung der Auslassungen, die mit anderen Teilen des Films eine Einheit bildet.
Man mag kaum glauben, dass dieser frische und elegante Film das Werk einer bald 60jährigen Regisseurin ist. Aber wenn wir uns darauf einlassen, können wir Erfahrungen machen, die zur Weisheit dieses Alters passen, nämlich Loslassen, Weitermachen und geduldig das Leben nehmen wie es ist.
CONTRA: Chen Yun-hua
Der Silberne Bär für die beste Regie ging in diesem Jahr an den Film Ich war zu Hause, aber … Er trägt die deutliche Handschrift von Angela Schanelec, die hier für Regie, Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnete. Der eher ungewöhnliche Film war von Anfang bis Ende umstritten. Die Zuschauer positionierten sich klar für oder gegen den Film. Die Fürsprecher fanden ihn gewagt und pointiert, seine Gegner meinten, er sei gekünstelt und unverständlich. Beide Seiten reagierten sehr emotional, aber niemanden ließ der Film kalt.
Das Komische ist, dass dieser Film, den die Zuschauer von ganzem Herzen lieben oder sich empört abwenden, alles daran setzt, zum Zuschauer keinerlei gefühlsmäßige Bande herzustellen. Jeder Versuch, dem Film nahe zu kommen wird von Angela Schanelec sofort zunichte gemacht. Die rätselhafte Erzählung fügt sich Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen oder um bei der Geschichte zu bleiben: Der Film erzählt von der alleinerziehenden Mutter Astrid, die vor zwei Jahren ihren Mann verlor. Maren Eggert, die schon lange mit Angela Schanelec zusammen arbeitet, spielt diese Astrid. Sie ist in ihrer Trauer gefangen und beginnt doch eine Affaire mit einem jungen Tennislehrer. Ihr 13jähriger Sohn Philip läuft von zu Hause weg und wohnt eine Woche im Wald. Als er zurückkommt, ist sein Fuß verletzt, was dazu führt, dass ein Zeh amputiert werden muss.
Die kleine Tochter hat keine Chance bei ihrer emotional überforderten Mutter Halt zu finden, also richtet sie ihre ganze Liebe auf Philip. Um diese Haupterzählung ranken sich dann noch ein paar längere Nebenerzählungen. Zum Beispiel kauft Astrid bei eBay ein gebrauchtes Fahrad, doch schon am ersten Tag geht es kaputt. Astrid sucht den Verkäufer auf, einen alten Mann, der sich nur über ein Kehlkopfmikrophon verständigen kann. Um ihr Geld zurückzukriegen bricht sie einen absurden wenn auch realistischen Streit vom Zaun.
Aber jegliches Gespräch, die Handlung betreffend, führt zu nichts und ist albern, weil die Geschichte gar nicht im Zentrum des Films steht. Es geht auch nicht um Sympathie oder Mitgefühl. Ich mag jedoch ganz am Anfang die menschenleere stille Szene: In einem alten verlassenen Hof steht ein Esel still am Fenster. Ein Hund jagt einen Hasen übers Feld, den er dann in dem Hof frisst. Es scheint, als seien die Tiere die Bewohner dieses Hauses。 Sie leben und atmen in dieser langen Einstellung volle acht Minuten, ohne dass ein Wort fällt. Ich dachte, wenn man nur mit der Kamera eine Geschichte so erzählen kann, dann muss der Rest des Films gut sein. Aber er zerfällt danach in Stücke, die Figuren sind leblos, sprechen abgehackt, als ob der Sinn ohnehin außerhalb der Worte liegt, denn die Worte sind leer.
Den Stil der Regisseurin kann man durchaus eigenwillig nennen. Ständig gibt es Brüche und neue Wendungen, sie denkt gar nicht daran, sich an irgendwelche Erzählnormen zu halten oder Zuschauererwartungen zu erfüllen. Der Ton des ganzen Films ist kalt und distanziert. Das ist typisch für die Berliner Schule. Ein intellektueller Film mit langen Einstellungen, einer abstrakten Erzählweise und einer Menge von Halbtotalen, durch die das menschliche Verhalten wie in einem Labor untersucht wird, ein Film, der den Zuschauer auf Distanz hält.
Philip spielt in der Schulaufführung des Hamlet die Hauptrolle, immer wieder hören wir Stücke aus dem Theatertext, lange redundante Passagen, in denen die Kinder hölzern Shakespeare rezitieren. In einer anderen Szene übt Astrid mit den Kindern im Krankenhaus üben einen Tanz ein.
Am Eingang zu einem Supermarkt verwickelt Astrid einen Filmregisseur in eine Diskussion. Der Filmregisseur wird vom serbischen Regisseur Dane Komljen gespielt, dessen Film Astrid gerade gesehen hat, aber nach der Hälfte rausgegangen ist. Wir sehen ihn in einer Halbtotalen, wie er auf der Straße steht und sein Fahrrad hält, im Fahrradkorb das gerade gekaufte Gemüse und Obst. Wachsam und interessiert betrachtet er Astrid, wie sie seinen Film kritisiert. Ihm fehle jegliche menschliche Erfahrung und der Film sei reine Kunsttheorie. Vom Film kommt sie auf Kunst im Allgemeinen zu sprechen, von den Schauspielern, ihrer Darstellung und dem wirklichen Leben auf richtig und falsch, Realität und Fiktion. Diese gelungene Szene ist voller Referenzen und setzt die Filmsprache genau, gibt der Zuschauermeinung ein paar großartige Beispiele an die Hand. Das ist die Anwendung des Brechtschen Entfremdungseffektes, aber das meiste ist philosophisches Geplänkel von oben herab und selbstverliebt, als wäre vergessen, dass Film heißt, den Zuschauer selbst sehen zu lassen.