Am törichten Bach hat Liu Zongyuan (773 – 819) eine Zeitlang gewohnt. Der Bach hieß eigentlich Ran-Bach. Über die Herkunft dieses Namens gab es verschiedene Legenden. Bei Liu Zongyuan heißt es: „Ich habe mir durch meine Torheit Schuld zugezogen und wurde an den Xiao verbannt, wo mir dieser Bach ans Herz wuchs. Ich folgte ihm zwei, drei Li, bis ich die trefflichste Stelle fand. Dort ließ ich mich nieder. […] Nun, da ich also an diesem Bach wohne, dessen Name nicht eindeutig ist, so dass sich offenbar selbst die Einheimischen darüber streiten, konnte ich gar nicht anders, als ihn umzutaufen, und nannte ihn fortan den Törichten Bach.“ Hier im Orte Yongzhou, im Grenzgbiet der heutigen Provinzen Guangxi und Hunan lebte Liu Zongyuan seit 805. Die Torheit, von der er sprach, war die Teilnahme an einer vereitelten Reform. Der Kaiser wurde entthront und die Reformer in die Verbannung geschickt. Hier in Yongzhou entdeckt Liu Zongyuan die Natur als Spiegel seiner Seele. Er findet Muße und Zerstreuung im Erwandern der Natur und nimmt diese auch immer wieder zum Ausgangspunkt seiner Klage über sein schweres Schicksal. Mit seinen „Acht Aufzeichnungen aus Yongzhou“ gilt Liu Zongyuan als Begründer des die Landschaft schildernden Reiseberichtes. Seine klare, natürliche Sprache erstaunt den Leser ob ihrer Modernität und lädt ein, diese Wege noch einmal zu gehen. Die beschriebenen Gelage mit Freunden und die Klage über die Verkommenheit der Gegenwart – es klingt fast vertraut. Doch sind seitdem 1200 Jahre vergangen. Neben der Landschaftsprosa enthält vorliegender Band einige von Liu Zongyuans Allegorien und Parabeln, mit denen er die herrschenden politischen Zustände kritisierte oder aber menschliche Schwächen auf’s Korn nahm, sowie ein paar Landschaftsgedichte. Der Dichter Jürgen Theobaldy hat diesen ihre lyrische Form gegeben (siehe auch unser Gedicht in dieser Ausgabe). Der kleine handliche Band vereinigt erstmals die bekanntesten Prosawerke Liu Zongyuans und ist praktischerweise leicht mitzuführen, so dass man sich in der U-Bahn, im Wartesaal oder auf einer Parkbank leicht in andere Gefilde entführen lassen kann.

Liu Zongyuan: Am Törichten Bach. Prosa und Gedichte. Übersetzung aus dem Chinesischen von Raffael Keller. Friedenauer Presse Berlin, 2005, 31 S., € 9,95

 

 

Liu Zongyuan – Am Törichten Bach