Sie hat es wieder getan. Lea Schneider, die Herausgeberin der 2015 erschienenen „Chinabox“, eines Bandes zur neuen Lyrik aus der Volksrepublik, widmete sich diesmal dem Poeten Zang Di (臧棣). Die Lyrikerin und Übersetzerin fand Dong Li, auch er ist Lyriker und Übersetzer, gemeinsam übertrugen sie 62 Gedichte Zang Dis ins Deutsche.

Sie sind in den Jahren von 1987 bis 2017 entstanden. Ihre chronologische Anordnung gestattet einen Einblick ins Leben des enorm produktiven Dichters: Was beschäftigt ihn gerade, wo befindet er sich, was ist passiert? Zang Dis Gedichte sind keine leicht konsumierbare Kost und deshalb kann man sich an der chronologischen Ordnung versuchen entlangzuhangeln. „Das programmatische Interesse für die vermeintlich banalen Gegenstände und Situationen des Alltags und die ebenso programmatische Internationalität seiner zahllosen Zitatequellen bestimmen Zang Dis Poetik bis heute“, schreiben Lea Schneider und Dong Li in ihrem Vorwort. Man kann aus den Gedichten Zang Dis bekannte Stimmen westlicher oder klassischer chinesischer Dichter heraushören, aber Zang Di anverwandelt sie immer seiner persönlichen Schreibe. Das macht es so schwer, ihn zu übersetzen und ist vielleicht auch ein Grund, warum er international erst relativ spät bekannt wurde.

Zang Di wurde 1964 in Beijing geboren. Er wuchs während der Kulturrevolution fern der Hauptstadt auf, in die er 1977 zurückkehrte. 1983 begann er das Literaturstudium an der Peking-Universität, wo er bis heute chinesische Literatur und Poetik lehrt. Neben zahlreichen Gedichtbänden veröffentlichte er Essays und Übersetzungen, war Herausgeber von Lyrikmagazinen und -anthologien. Mit vielen Lyrikpreisen ausgezeichnet, wurden seine Geschicklichkeit und Frische mit Sprache zu spielen und die Abkehr von offener Sozialkritik zu einem Vorbild für die nachfolgende Dichtergeneration.

Es sind eher einzelne Bilder oder eine Stimmung, die hängenbleiben und oft sorgt gleich der nachfolgende Vers für Irritationen. Wenn Zang Di etwa über die Schönheit von Spinat sinniert, „dieses dunkelgrüne Gefühl beim Spinatwaschen“, vielleicht ist es wie „mit den Engeln in unserem Leben, die es, wenn man sie fragt, nicht gibt.“

Gefühle und Gedanken fließen ineinander, schaffen Verfremdung, auf die das Gedicht „Brecht an deiner Seite“ anspielt: wenn etwa die Tauben wie Möwen aus der Wäsche schauen, „die auf dem Weg zum Meer falsch abgebogen sind“ und der Dichter Brecht fast nicht erkennt, dessen revolutionärer Verfremdungseffekt schon wieder normal zu sein scheint. Als ob nichts beständig ist, alles im Fluss, permanente Veränderung. „Reisen“ ist ein wichtiges Stichwort, dass Zang Di mal in einen Interview erwähnt hat, sich bewegen und mit eigenen Augen sehen – Erfahrungen, die sich auch in vorliegendem Band niedeschlagen: China, Deutschland, Niederlande, USA. Lyrik ist für Zang Di Ausdruck des Ich, was mit der Welt in Beziehung tritt und damit greift er auch auf die lange Tradition chinesischer Lyrik zurück. Eine Reise, eine Zeitungsnotiz, eine Erinnerung – alles wird Gedicht. Dabei verweigert er einfache Erklärungen und bleibt oft mystisch-surreal. Am Ende des schmalen Bandes gibt es Anmerkungen der Übersetzer. Ich hätte sie mir praktikabler, mit Seitenverweisen gewünscht und oft auch mehr davon. Zang Dis Gedichte erschließen und entfalten sich oft erst bei mehrmaliger Lektüre. Wenn das kein Indiz für Nachhaltigkeit ist.

Zang Di: Gesellschaft für Flugversuche, aus dem Chinesischen von Lea Schneider und Dong Li, Edition Lyrik Kabinett bei Hanser, München 2019.

in: Ruizhong 1/2020

Nachhaltige Irritationen. Gedichte von Zang Di