Taiwan präsentierte sich in diesem 25er Berlinale-Jahrgang mit zwei Beiträgen, die für ein Crossover zwischen bildender Kunst und Film stehen.
What you are seeing is a “cinematic exhibition” or “exhibition cinema”, or it can also be thought of as a place of audiovisual production, where members of the audience can experience a process that entails drawing the storyboard, production meeting, audition, rehearsal, martial arts training, choreography, musical arrangement, and even being on site at the filming location. (www.suhuiyu.com)
Su Hui-yus The Trio Hall ist Reminiszenz an zwei Sehkulturen: das sogenannte Three Hall-Kino der 1960-1970er Jahre, sowie an die TV-Shows und die MTV Pop-Ästhetik gegen Ende des Kriegsrechts in Taiwan in den späten 1980er Jahren. Diese TV-Shows sah er als Zehnjähriger gemeinsam mit der Familie im Fernsehen. Damals, erzählt der Regisseur nach der Vorführung, habe Taiwan begonnen, in der Weltpolitik mitzuspielen und heute, im neuen kalten Krieg, werde die Insel heiß gehandelt. So spannt er Fäden zwischen Gegenwart, Geschichte und eigener Erinnerung.
Die damaligen visuellen Formen transformierte und reproduzierte Su in einer Multimedia-Ausstellung 2023 im Museum of Contemporary Art, Taipei. Mit großer Lust an Spiel, Verkleidung und Improvisation und unter dem Motto „Nichts ist heilig“ schuf er eine Mischung aus moderner Kunst und Performance, präsentiert als bunt-schrilles Fernsehspektakel mit Diskussionen, Musik- und Tanzeinlagen: Da tanzt Stalin mit Chiang Kai-shek und Hitler fährt Rollschuh. Es gibt kurze filmische Zwischenspiele, deren Drehbücher Su von einer KI schreiben ließ: Da kämpfen ein Römer und ein Sklave plötzlich für die gemeinsame Sache oder es gibt Sexualerziehung in der Disko. Die im Museum herumliegenden Requisiten und Kostüme sahen ohnehin schon aus wie moderne Kunst, darüber hinaus gab es weitere Anspielungen auf Künstler und ihre Werke, wie etwa auf Marina Abramović, Dan Flavin oder John Cage. Schließlich filmte Su Hui-yu das Ganze, wobei der dreimonatige Performance-Marathon auf kinotaugliche Länge eingedampft wurde. Der Ausstellungsraum ward somit zugleich Filmstudio. Das Ergebnis konnte man sich im Forum der Berlinale ansehen.
Su greift Ereignisse der jüngeren Geschichte auf und betrachtet sie durch einen heutigen Filter, die Vergangenheit schlüpft dabei in Kostüme der Gegenwart und umgekehrt, so sind seine Remakes spielerische Befragung und Auseinandersetzung. Der Film- und gleichlautende Show-Titel The Trio Hall geht zurück auf die Three Hall Filme 三厅电影 der 1960er und 70er Jahre. Das waren romantische Low- Budget-Filme, auf Romanen von Chiung Yao basierend, die typischerweise in lediglich drei Settings spielten: Wohnzimmer, Café und Nachtclub/Disco. Im Übrigen spielte hier Brigitte Lin sehr oft die romantische Heldin, bevor sie im Hongkong-Kino der 1980er Jahre brillierte.
Der zweite, für das Crossover von bildender Kunst und Film stehende Beitrag war Heman (Eel) von Chu Chun-teng. Der kehrte damit nach 20 Jahren Abstinenz zum Film zurück. Nach seinem Filmstudium wandte er sich der bildenden Kunst zu, da die filmische Sprache ihn eingeengte. Er suchte nach neuen kreativen Möglichkeiten jenseits dieser Grenzen. 2021 zeigte Chu Chun-teng in einer Videoinstallation gleichen Titels seine Auseinandersetzung mit dem Thema Shezi-Island. In seinem Langfilm-Debut Eel will er nicht nur der Geschichte und den Figuren folgen: „Ich habe mehr Wert auf die „Erzählung“ von Bild und Ton gelegt. Auf diese Weise hoffe ich, die Möglichkeiten des Kinos zu erweitern.“
Der Film ist der Insel Shezi 社子岛 und ihren Bewohnern gewidmet, einer vergessenen Insel zwischen Keelung- und Tamshui-River in Taipeh. Weil sie immer wieder von Fluten bedroht wurde, hat die Regierung vor fünfzig Jahren ihre weitere Entwicklung verboten. Doch nun soll sich das ändern und die hier verbliebenen Bewohner fürchten, dass die Veränderung und Aufwertung des Gebietes auch ihre Vertreibung bedeutet. Von alldem erzählt der Film nichts, die filmische Narration ist überhaupt sehr bruchstückhaft. „Für mich ist diese Sandbank ein Grenzraum zwischen Stadt und Land, Land und Meer, Existenz und Vergessen“, erzählt Chu Chun-teng.
Poetisch und symbolisch überhöht begegnen sich da, wo die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt, zwei einsame Wesen auf dem immer wieder überschwemmten Eiland. Liang lebt an die Vergangenheit gefesselt, das ist wörtlich zu nehmen, wir sehen ihn mit Fußfessel oder den Wundmalen davon. Er kümmert sich um die Tauben, die sein Vater hinterließ, er arbeitet in einer Müllverbrennungsanlage, sein Haus ist vollgestellt mit unnützen Dingen, notdürftig bessert er es gegen die Unbilden der Natur aus. Eines Tages wird eine unbekannte Schöne angeschwemmt, wie eine der zahllosen Götterstatuen im örtlichen Tempel. Wenige Worte, Sex, Gewalt gegen sich selbst und/oder den anderen, sowie Bilder der Natur entfalten ein Spiel um Sehnsucht und Zugehörigkeit. Tiere spielen eine große Rolle, neben den Tauben kreuzt immer wieder ein Schwein die Straße. Symbol einer ländlichen Idylle, während im nicht weit entfernten Hintergrund die Hochhäuser von Taipeh zu sehen sind. Und dann sind da noch die titelgebenden Aale, Wanderfische, die der Regisseur als Symbol für den Kreislauf sieht, die sich immer wieder an neue Lebensbereiche anpassen.
Noch wachen die Götter über die Insel. Zwei Männer, die eine Sänfte tragen, in der Tudigong 土地公, der lokale Erdgott sitzt, tauchen wiederholt an verschiedenen Orten der Insel auf. Diese Szenen erschließen sich dem ausländischen Publikum nicht sofort. Hier auf der Insel Shezi ist es fester Brauch jedes Jahr zum Laternenfestival den Erdgott Tudigong zu feiern.
Eel war vielleicht die esoterischste Auswahl in der neu geschaffenen Sektion Perspectives, aber eine der selbstbewusstesten Regiestimmen. Die Bildercollage von Chu Chun-teng fängt einen psychologisch-existenziellen Zustand ein, der sich einer Erzählung entzieht. Das ist fast wieder sympathisch, angesichts der Schwäche zahlreicher neuer Filme hinsichtlich der Narration. Dazu zum Abschluss noch einmal der Regisseur: „Ich möchte dem Zuschauer Raum für Gefühle und Gedanken gegenüber dem Gesehenen geben.“ Das ist beiden taiwanischen Filmen, The Trio Hall und Eel hervorragend gelungen.