Eins der Wunder unserer Zeit ist es, wenn Filmschätze vergangener Zeiten wieder auftauchen. Und so war es eine Sensation, als im Jahr 2011 in der Nationalbibliothek Norwegens eine Kopie des verloren geglaubten chinesischen Stummfilms 盘丝洞 – The Spiders Cave/ The Cave of the Silken Web/ The Spiders gefunden wurde. Nach seiner Restaurierung in Norwegen wurde er an das Filmarchiv Beijing zurückgegeben. Im Rahmen des Projektes The Sound of Silence war dieser Film nun neu vertont zu sehen.
Pan si dong (盘丝洞) wurde 1927 von Dan Duyu ( 但杜宇, 1897- 1972) für die Shanghai Photoplay Company (上海影戏) gedreht und gilt als früheste Verfilmung einer Episode aus dem Roman Die Pilgerreise nach dem Westen (西游记). Der fertige Film wurde ein Erfolg in China, so dass man 1929 ein Sequel in die Kinos brachte.
Der Film folgt dem Mönch Xuanzang und seinen drei Begleitern auf ihrem Weg nach Westen, ins heutige Indien, von wo sie Buddhas heilige Schriften nach China bringen sollen. Sie kommen zu einer Höhle, die von sieben schönen Frauen bewohnt wird, die versuchen, den Mönch und seine Begleiter zu fangen und zu verführen und in ihr Netz der Liebe einzuspinnen. Die Frauen sind jedoch verkleidete Spinnengeister. Einen Höhepunkt der Inszenierung bildet die Hochzeitsfeier des ersten Spinnengeistes mit dem Mönch. Doch den vier Gefährten gelingt es rechtzeitig zu entkommen, bevor ein reinigendes Feuer die Höhle mit den Spinnengeistern vernichtet.
Der Regisseur Dan Duyu oder auch Darwin Du, hatte 1920 die Shanghai Photoplay Company gegründet. Er war als Maler bekannt für seine meist nackten Kalenderschönheiten, mit denen er ein florierendes Geschäft betrieb. Sein Hobby war die Photographie, was dazu führte, dass er auch eine Filmkamera erwarb und den Umgang mit ihr erlernte. Dem Regisseur lag die ästhetische Gestaltung seiner Bilder besonders am Herzen und er legte großen Wert auf Beleuchtung, Bühnenbild und Kameraposition. So sollte die Höhle der Spinnengeister zugleich realitisch und fantastisch wirken. Leider ist der Film nicht vollständig erhalten: von den ursprünglich 1900 Metern Film sind nur 1200 erhalten, es fehlt die erste Rolle und auch einige Stücke in der Mitte sind verloren.
Wie nun aber gelangte er überhaupt nach Norwegen? Als erster chinesischer Film erlebte er im Januar 1929 unter dem Titel Edderkoppene in Oslo seine Premiere. Da, wie erwähnt, die erste Rolle des Films verloren ist, beginnt die Geschichte heute recht unvermittelt. Es stellt sich die Frage, warum keine Ersatz-Titelkarte eingefügt wurde. Gleich die ersten Bilder sind stark in Mitleidenschaft gezogen, man sieht von Lichtblitzen durchsetzte Bilder und Spuren zerlaufenen, oxydierten Nitrofilmmaterials. Die norwegische Kopie besaß norwegische und englische Zwischentitel. In der restaurierten Fassung finden sich chinesische und englische Titel. Lediglich einige grafisch schön gestaltete Art déco-Titel, die den Beginn eines neuen Aktes anzeigen, sind aus der norwegischen Kopie übernommen. Dass einige Zwischentitel mehrfach verwendet wurden, schien nicht immer sinnvoll und war vielleicht den Lücken im Material geschuldet. Nach den ersten Filmmetern folgen dann schön viragierte Bilder, v.a. in grün und blau für das Innere der Höhle und ganz in rot getaucht am Ende, als das Feuer alles vernichtet. Insgesamt eine vorsichtig restaurierte Filmkopie, die nicht wegglättet, sondern alle geschichtlichen Spuren trägt.
Schriftlichen Quellen zufolge die größte Attraktion des Films waren die schwimmenden Spinnengeister von einer Unterwasserkamera gefilmt. Diese Technik kam hier erstmalig in China zum Einsatz. Aber leider fehlt die Szene. Möglicherweise fiel sie der Zensur zum Opfer, weil sexy schwimmende Spinnenfrauen nicht in das europäische Bild von China passten? Wir werden es wohl nicht mehr erfahren. Man sieht lediglich die Frauen, wie sie sich vorbereiten, baden zu gehen.
Zhang Zhen erklärt die Spinnenfrauen in An Amorous History of the Silver Screen zum Prototyp der nüxia 女侠, der martial heroines, die um diese Zeit begannen, die chinesischen Leinwände zu erobern. Doch nichts liegt ferner, als hier von Kampfkunst zu sprechen. Denn die dilettantisch mit dem Schwert herumpieksenden Spinnengeister sind schon erstaunlich. Zumal Sun Wukong und andere Filmfiguren virtuos und ganz offensichtlich operngeschult mit Waffen umgehen. Die Nähe zur Oper übrigens wird in der Szene des Hochzeitsfestes an Kostümen und Masken der hier versammelten irdischen und überirdischen Gäste besonders augenfällig.
Das Wiederauffinden von Pan si dong (盘丝洞) bleibt ein großer Glücksfall in der Filmgeschichte.