Zhai Yongming (Jahrgang 1955) stammt aus Sichuan. Sie begann in den 80er Jahren zu schreiben und der 1986 veröffentlichte Zyklus „Frauen“ machte sie bekannt. In dem diesem Zyklus vorangestellten Essay „Das nächtliche Bewusstsein“, der auch vorliegenden Band einleitet, heißt es: Das weibliche Bewusstsein bilde „die ewige Energie zur Eindringung in das heilige Land des Gedichtes. […] Wir müssen einer Wirklichkeit ins Auge sehen, selbst wenn diese Wirklichkeit herzlos ist bis zur Kompromisslosigkeit.“ Das klingt nach dem Schlachtruf einer Dichterin, die antritt, eine von Männern dominierte Szene aufzumischen. Und von Männern dominiert wurde die chinesische Lyrik der achtziger und neunziger Jahre. Zhai Yongming errang als einzige Dichterin die Aufmerksamkeit und Hochachtung der Dichterkollegen, die inzwischen als sogen. 3. oder posthermetische Generation die chinesische Lyrik repräsentieren.
Es ist keine blumige Romantik, die den Leser der Lyrik von Zhai Yongming erwartet. Zyklenweise setzt sie sich mit ihrem Sein als Frau („Frauen“), dem Ort ihrer Landverschickung während der KR („Das Dorf Stiller Friede“) oder mit den Besuchern von Kaffeehäusern auseinander. Das Buch enthält Gedichte aus 20 Jahren. Die Gedichtzyklen aus den 80er Jahren sind voll von assoziativen Beschreibungen und Gedankengängen. Häufig reihen sich einfache Sätze aneinander, die sich im Zusammenklang dem Leser sperren, ihn zum Mit- und Nachdenken provozieren.
Dem titelgebenden Zyklus „Kaffeehauslieder“ ist unser Gedicht in dieser Ausgabe entnommen. Die Kaffeehauslieder entstanden nach Zhai Yongmings New York-Aufenthalt in den Jahren 1990 bis 92. Und sie verweisen auch zurück, nach Hause: denn Zhai Yongming betreibt selbst ein Künstlercafé in Chengdu. Mit diesem Gedichtzyklus wandte sich Zhai Yongming von der hermetischen Schreibweise ihrer Frühzeit ab. Scharf beobachteter Alltag wechselt sich ab mit sinnlichen und philosophischen Betrachtungen und immer ist die Dichterin mittendrin. Die Auseinandersetzung mit Sprache als Arbeit der Erinnerung lässt Kurzfilme vor Augen des Lesers ablaufen. Und genau in diesen Momenten sind ihre Gedichte am Schönsten.
Aber die Dichterin ist nicht nur angetreten, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, wie eingangs zitiert. Sie greift ein und schafft dichtend ein Stück Wirklichkeit. Der Akt des Schreibens selbst ist eine Arbeit, einsam und glücklich machend. Sie schreibt, als baue sie sich ein U-Boot, gegen Angriffe gefeit, verborgen „ an windstillem, seichtem Damm“. Doch als der sichere Hort fertig ist, hat sich die Welt ringsum verändert und die Arbeit der Dichterin geht weiter: „Jetzt muß ich das Wasser erschaffen um der Trauer eines jeden Dinges willen, erschaffen seine seltene Schönheit.“, heißt es im Gedicht „Die Traurigkeit eines U-Boots.“ Letzteres ist Teil des Zyklus „Berliner Gedichte“, denn Zhai Yongming weilte im Jahr 2000 als Stipendiatin des DAAD-Künstlerprogramms an der Spree. Und denjenigen, die sie damals nicht erlebten oder die einfach mehr von Zhai Yongming lesen möchten, sei dieser Band mit den sehr schönen Übersetzungen und einem aufschlußreichen Nachwort von Wolfgang Kubin empfohlen.
Zhai Yongming: Kaffeehauslieder. Gedichte, übersetzt von Wolfgang Kubin. Weidle Verlag 2004, 113 S., 19 €.
(in: dnC 3/2005)